Home Politik Pazifik-Inselreich Neukaledonien bleibt in der EU
Politik - 04.11.2018

Pazifik-Inselreich Neukaledonien bleibt in der EU

Am Rathaus von Nouméa hängt die französische Flagge, 18 000 Kilometer von Paris entfernt. Das wird vorerst so bleiben – der Mini-Frexit im Pazifik wurde in einer Volksabstimmung abgelehnt.

▶︎ Nach Auszählung fast aller Stimmen sind knapp 57 Prozent dagegen, wie das öffentlich-rechtliche Fernsehen der Inselgruppe berichtete. Für die Trennung nach mehr als anderthalb Jahrhunderten stimmten etwa 43 Prozent.

Das Ergebnis bedeutet vor allem für die Bevölkerungsgruppe der Kanaken, Neukaledoniens Ureinwohner, eine große Enttäuschung. Von ihnen hoffen viele seit Langem auf einen eigenen Staat. Das Nein fiel allerdings nicht so deutlich aus wie von vielen erwartet.

Kanaka bedeutet Mensch

Nouméa ist die Hauptstadt von Neukaledonien, einer Inselgruppe zwischen Australien und Fidschi mit 280 000 Einwohnern. Am Sonntag stimmten sie darüber ab, ob sie sich von ihrem ehemaligen Kolonialherren Frankreich unabhängig erklären. Die Wahlbeteiligung lag bei etwa 74 Prozent.

Die Frage der Volksabstimmung lautete: „Wollen Sie, dass Neukaledonien seine volle Souveränität bekommt und unabhängig wird?“

Eigentlich war die Abstimmung für spätestens 1998 geplant. Aus verschiedensten Gründen wurde sie immer wieder hinausgezögert. Zwischenzeitlich stand man am Rande eines Bürgerkriegs. Dafür ging es jetzt, 20 Jahre später, erstaunlich ruhig zu.

Den Umfragen zufolge waren von genau 174 154 wahlberechtigten Neukaledoniern mehr als 60 Prozent gegen die Abspaltung. Einer der Gründe: Die Mehrheit in Neukaledonien sind Zuwanderer aus Europa, von anderen Pazifikinseln und aus Vietnam. Die Kanaken machen nur noch knapp 40 Prozent der Bevölkerung aus.

Ihre Bezeichnung geht auf das Wort „Kanaka“ zurück, das in der Landessprache ganz einfach „Mensch“ bedeutet. Sie hatten für den neuen, unabhängigen Staat schon einen Namen und eine Flagge: Kanaky, Menschenland.

Wenn die Volksabstimmung mit Ja ausgegangen wäre …

Bei einem Ja wäre nicht nur eine lange französische Kolonialgeschichte zu Ende, die 1853 damit begann, dass Napoleon III. eine Sträflingsinsel suchte. Auch Europa würde ein Stück kleiner.

Neukaledonien ist ein sonderbares Zwitterwesen: Es gehört nicht richtig zur EU, sondern ist nur assoziiert. Bezahlt wird mit dem Pazifik-Franc. Aber die Leute dürfen bei Europawahlen mitstimmen, und es gibt nicht nur Geld aus Paris, sondern auch aus Brüssel.

Man sieht das am Quai Jules Ferry, wo die Kreuzfahrtschiffe anlegen, an den modernen Verwaltungsgebäuden, den guten Straßen oder den vielen neuen Sportplätzen. „Pazifik-Paris“ nennt sich Nouméa gern. Die Immobilienpreise lassen sich vergleichen. Das Leben ist teuer.

Beamte kriegen eine Inselzulage. Für den Standard-Warenkorb, mit dem die Statistiker arbeiten, muss man 34 Prozent mehr bezahlen als im Mutterland Frankreich. Ein halbes Pfund Butter kostet umgerechnet 3,35 Euro.

Das gehört zu den Dingen, die die Leute hier enorm ärgern – egal, wo sie herkommen. Auch Imeot Dylan, ein Kanake, der in Nouméa Jura studiert. Der 22-Jährige ist stolz auf seine Herkunft. Er weiß, dass Kanake anderswo ein Schimpfwort ist: „Aber egal.“ Am Sonntag wollte er mit Ja stimmen: „Wir würden nicht unsere Unabhängigkeit zurückgewinnen, sondern auch unsere Würde.“

Blutige Dekolonialisierung

Zu Zeiten der Dekolonialisierung gab es eine große Unabhängigkeitsbewegung. Bei blutigen Auseinandersetzungen 1988 wurden 27 Gendarmen als Geiseln genommen, 19 Kanaken und zwei Militärs starben bei der Befreiung. Insgesamt gab es fast 70 Tote.

Bis heute verharmlost man dies hier als die „Événements“, die „Ereignisse“. An den ermordeten Chef der Partei FLNKS (Front de libération nationale kanak et socialiste), Jean Marie Tjibaou, erinnert ein Kulturzentrum. Inzwischen wäre er 82 Jahre alt. Auch seine Mitstreiter bei den Kanaken sind in die Jahre gekommen.

Den Generationswechsel hat die FLNKS verpasst. Dabei gibt es Erfolge. Neukaledonien hat eine so große Autonomie wie keine andere französische Region. Die FLNKS ist in der Inselregierung dabei, die Nickel-Industrie bringt viel Geld ins Land.

Unterstützung aus Paris

Aktuell wird aber noch eine Milliarde Euro jährlich aus Paris überwiesen, etwa 13 Prozent des Bruttoinlandprodukts – Geld, das nach der Unabhängigkeit fehlen würde. Das ist eines der wichtigsten Argumente der Gegner.

Der Geschäftsmann Serge Diandet (65), seit 30 Jahren in Nouméa: „Ohne die Unterstützung aus Paris würde es hier wie auf den Fidschi-Inseln aussehen. Ich habe Angst, dass alles verloren geht, was hier erreicht wurde. Und zwar ganz schnell.“ Auch vor erneuten Unruhen fürchten sich diejenigen, die die Unabhängigkeit ablehnen.

Präsident Emmanuel Macron vermied bei einem Besuch im Mai jede Stellungnahme für oder gegen das Referendum. Das Abkommen zwischen Paris und Nouméa sieht unterdessen vor, dass bis 2022 noch zwei weitere Abstimmungen stattfinden können, sollte die Unabhängigkeit nun abgelehnt werden; und auch weitere Abstimmungen danach sind nicht ausgeschlossen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Check Also

„Torpedo Attacke! Torpedo Attacke!“

++ Tanker-Krise im Golf von Oman ++ BILD dokumentiert den dramatischen SOS-Ruf ++ Großbrit…