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Politik - 08.05.2019

Erdogan setzt gewähltenBürgermeister von Istanbul ab

Protestwelle und Börsenbeben nach Entscheidung über Neuwahl

Das Hohe Wahlamt der Türkei hat die Abstimmung über den Bürgermeisterposten in Istanbul annulliert und eine Neuwahl angesetzt – in der Folge entmachtete Präsident Erdogan den gewählten Bürgermeister. Jetzt gehen in Istanbul wütende Bürger auf die Straße und an der Börse spürt die türkische Währung Lira den Druck.

Warum Istanbul dem Präsidenten so wichtig ist

Das Hohe Wahlamt wird von der Erdogan-Partei AKP dominiert. Es hat am Montag überraschend einer Beschwerde der konservativ-islamischen Partei gegen die Wahl stattgegeben. Präsident Recep Tayyip Erdogan (65) feiert das als „besten Schritt“, denn für ihn gilt die Devise „Wer Istanbul gewinnt, gewinnt die Türkei“. Er hatte sich seit der Wahl am 31. März geweigert zu akzeptieren, dass seine Partei nach mehr als 20 Jahren die Herrschaft in der Millionen-Metropole verloren hat.

Der sozialdemokratische Herausforderer Ekrem Imamoglu (48) hatte knapp 13 000 Stimmen vor dem AKP-Kandidaten gelegen. Imamoglu wurde am 17. April zum Wahlsieger gekürt und ist seitdem Bürgermeister in der Stadt.

Erdogan stellt Istanbul unter Zwangsverwaltung

Am Dienstag hat Erdogan weiter Fakten geschaffen: Er entmachtete Bürgermeister Imamoglu, stellte Istanbul unter Zwangsverwaltung! Der Gouverneur der Region, Ali Yerlikaya (51), übernimmt bis zur Neuwahl am 23. Juni das Amt – Yerlikaya gilt als AKP-nah.

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Protestwelle in Istanbul

Istanbul erlebt nun wütende Proteste. Der bisherige Wahl-Gewinner Ekrem Imamoglu rief noch am Vorabend seiner Entmachtung vor jubelnden Anhängern: „Ihr werdet sehen, wir werden gewinnen.“ Die Menge skandierte „Recht, Gesetz, Gerechtigkeit“ und forderte die Mitglieder des Hohen Wahlamts zum Rücktritt auf.

In mehreren Bezirken Istanbuls standen Menschen an den Fenstern und schlugen auf Töpfe und Pfannen – eine Protestform, die sich während der regierungskritischen Gezi-Proteste von 2013 etabliert hatte.

🎥 #İstanbul Beşiktaş'ta halk evlerinden çıktı, Kartal heykelinde tencere tavalı eylemini sürdürüyor.https://t.co/TOwWJJKuWD#herşeyçokgüzelolacak pic.twitter.com/gYmmmXC39K

— sendika.org (@sendika_org) May 6, 2019

„Erdogan hat die Demokratie endgültig begraben“

Der gebürtige Istanbuler Mehmet K. findet, dass die Menschen auf die Straßen gehen sollen, um gegen die Regierung zu protestieren. Zu BILD sagte er: „Die AKP-Regierung tritt die Demokratie mit ihren Füßen. Nur weil die Menschen in Istanbul Erdogans Partei nicht unterstützen, wurde die Wahl annulliert. Erdogan hat am 6. Mai die Demokratie in der Türkei endgültig begraben.“

Unterstützung für Erdogan-Gegner

Viele kleine Parteien wollen nach der Annullierung keine Kandidaten zur Neuwahl aufstellen, stattdessen den CHP-Kandidaten und Erdogan-Gegner Ekrem Imamoglu unterstützen. Als Erste verkündete die Kandidatin der Türkischen Kommunistischen Partei (TKP), Zehra Güner Karaoglu, dass sie nicht erneut kandidieren wird. Karaoglu hatte bei der Wahl am 31. März knapp 11 000 Stimmen erreicht.

Auch die anderen Parteien Saadet (SP), Vatan und DSP wollen in den nächsten Tagen bekannt geben, dass sie nicht erneut Kandidaten aufstellen werden.

Entscheidung führt zu Börsenbeben

Die Entscheidung für eine Wiederholung der Kommunalwahl in Istanbul hat die Währungskrise in der Türkei verschärft. Die türkische Lira geriet am Dienstag an den Börsen weiter unter Druck, sie fiel im Vergleich zum Dollar um 1,5 Prozent. Am Montag hatte der Dollar erstmals seit Oktober wieder mehr als sechs Lira gekostet, am Dienstag war er sogar 6,17 Lira wert.

Der türkische Industrie- und Wirtschaftsverband äußerte Sorgen: In einer Zeit, in der man sich auf „umfangreiche wirtschaftliche und demokratische Reformen konzentrieren müsse“, sei die „Rückkehr in eine Wahlatmosphäre besorgniserregend“, twitterte der Verband (Tüsiad) in der Nacht zu Dienstag.

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Außenminister Maas: „Nicht nachvollziehbar“

Außenminister Heiko Maas (52, SPD) mahnte die Einhaltung demokratischer Grundprinzipien an: „Die Entscheidung des Hohen Wahlrats, das Ergebnis der Kommunalwahl in Istanbul für ungültig zu erklären und eine Wahlwiederholung anzuordnen, ist für uns nicht transparent und nicht nachvollziehbar.“

Maas: „Über die Besetzung des Oberbürgermeisteramtes in Istanbul kann und darf allein der Wille der türkischen Wählerinnen und Wähler entscheiden. Die Einhaltung demokratischer Grundprinzipien mit transparenten Wahlbedingungen hat aus unserer Sicht oberste Priorität.“

Grünen-Politiker Cem Özdemir (53): „Mit Demokratie hat das rein gar nichts mehr zu tun.“ Der türkische Präsident Erdogan „beweist mit der Annullierung der Wahl in Istanbul keine Stärke, sondern offenbart sich als ein verbitterter alter Mann, der den Zenit seiner Macht längst überschritten hat“.

Özdemir warf dem türkischen Präsidenten Realitätsverlust vor: „In der Welt von Recep Tayyip Erdogan ist jeder ein Terrorist, der anders denkt als er, und jede Wahl, die er verliert, eine gefälschte Wahl.“ Der Grünen-Politiker äußerte die Hoffnung, dass die Opposition ihre Geschlossenheit bewahre. „Die Geschlossenheit der Opposition war ihr Erfolgsrezept bei den Wahlen in Istanbul“, sagte Özdemir.

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