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Politik - 26.10.2018

Iraks Regierungschef schreibt Ministerposten online aus

In Zeiten von Wählerfrust und politischem Umbruch fassen selbst ernannte Saubermänner ihr Programm gern in drei Worte: Den Sumpf trockenlegen.

Mit anderen Worten: Parteipolitiker aus der Regierung werfen.

▶︎ In der Praxis ist Iraks designierter Ministerpräsident Adel Abdel Mahdi möglicherweise am weitesten vorgeprescht. Er muss bis kommende Woche ein Kabinett zusammenstellen und hat dafür ein Online-Portal freigeschaltet, auf dem sich jeder und jede für die Spitze eines der 22 Ministerien bewerben kann.

Binnen Tagen saß Abdel Mahdis Büro vor einem Berg von 15 000 Bewerbungen, wie lokale Medien berichten. Genau 601 Personen wurden zu Vorstellungsinterviews eingeladen.

Zahlreiche Iraker zweifeln, dass Abdel Mahdi auf diese Weise ein politischer Neuanfang gelingt. Viele Parteien im Parlament verfügen über eigene Milizen und drohen damit, die brüchige Stabilität des Landes zu zertrümmern, wenn sie nicht die Ministerposten erhalten, auf die sie es abgesehen haben.

Andere fragen sich, ob es klug ist, politische Neulinge gleich in höchste Regierungsämter zu hieven. Er sei hin und her gerissen, sagt der Waisenhausbetreiber Hischam al-Dahabi, der sich widerstrebend als Arbeits- und Sozialminister beworben hat. „Die Parteien werden ihren Anteil an der Regierung niemals aufgeben“, sagt er.

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▶︎ In seinem Waisenhaus in Bagdad jongliert Al-Dahabi mehrere Aufgaben: Er führt die Delegation einer europäischen Botschaft durchs Gebäude, gibt Medieninterviews und ist zudem Betreiber der Einrichtung und Sozialarbeiter. Waisenkinder fordern seine Aufmerksamkeit und nennen ihn auf Arabisch „Baba“ („Papa“). Al-Dahabi nimmt die Jüngsten auf den Arm und begutachtet ihr Gebiss – Ein Zahnarzt hat sich angesagt. „Sie wollen alle zu ihm“, sagt er. „Aber wir müssen zwei aussuchen.“

Dass seine Bewerbung als Minister läuft, hat Al-Dahabi seinen Schützlingen nicht verraten. Er hält sich ohnehin für einen Außenseiter. Gemeldet habe er sich, weil Freunde und Unterstützer nachgerade eine Kampagne für ihn gestartet hätten, sagt er.

Mit seinem möglichen Chef Abdel Mahdi hat Al-Dahabi immerhin schon gesprochen. Sie hätten sich über Initiativen unterhalten, die das Leben der Kinder im Irak verbessern sollen, sagt er dazu nur.

Abdel Mahdi gibt sich schmallippig, wenn es um sein künftiges Kabinett geht. Eine Interviewanfrage lehnt sein Büro ab. Bis 2. November muss die Ministerliste fertig sein. Dann stimmt das Parlament darüber ab.

▶︎ Das irakische Parlament hat bereits 14 von Regierungschef Adel Abdel Mahdi vorgeschlagene Minister bestätigt. Die Abgeordneten in Bagdad stimmten in der Nacht auf Donnerstag zunächst für Mahdis Regierungsprogramm. Dann sprachen sie den 14 vorgeschlagenen Ministern, unter anderem dem Außenminister, dem Finanzminister und dem Ölminister, ihr Vertrauen aus.

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Es ist zwar unwahrscheinlich, dass Abdel Mahdi den Parteienblöcken im Parlament die wichtigsten Ministerposten abluchsen kann.

Doch die Idee mit Online-Portal dürfte zumindest seinen eigenen Ruf aufpolieren, lässt sie ihn doch als Reformer und Technokraten erscheinen, während seine Landsleute die Parteipolitik ohnehin nur noch satt haben.

Bei der Wahl im Mai wurde die Liste des populistischen Geistlichen Muktada al-Sadr stärkste Kraft im Parlament. Nachdem sich sein Block bei der Führung von Ministerien früher nicht gerade mit Ruhm bekleckert hatte, hat Al-Sadr diesmal eine Technokratenregierung versprochen.

Abdel Mahdi hat sich seit seiner Rückkehr aus dem Exil 2003 einen Ruf als politisch Unabhängiger erarbeitet. Der Ökonom hat das Öl- und das Finanzministerium geleitet und war Vizepräsident. Jetzt ist er der erste Regierungschef seit zwölf Jahren, der nicht der Dawa-Partei angehört, die viele Iraker für den Verfall öffentlicher Dienstleistungen und das Anwachsen der Milizen verantwortlich machen.

Der frühere Beamte Alaa Chudair nennt die Online-Initiative des designierten Ministerpräsidenten einen positiven Schritt, um den etablierten Parteien die Macht zu entreißen. Diese seien nicht in der Lage gewesen, für die Iraker zu sprechen und ein „nationales Projekt“ zustande zu bringen.

Sollten es Online-Bewerber tatsächlich auf Ministersessel schaffen, dürfte es für sie dort unbequem werden. Die irakische Politik sei erbarmungslos, sagt der Bürgerrechtler Jahja al-Hafis. Die Parteien würden nicht einlenken, sondern ihre Giftzähne zeigen. „Dies ist eine Regierung, die für Gefälligkeiten und Geschäfte arbeitet. Es ist unmöglich zu glauben, dass sie das aufgeben werden“, sagt Al-Hafis.

Al-Dahabi zeigt sich unbeeindruckt. Auch andere Experten würden sich nicht einschüchtern lassen. „Wir haben wenigstens einige Erfahrung in unseren Fachgebieten und wir haben einige Leistungen an der Basis vollbracht“, sagt er.

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