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Politik - 16.11.2018

Deutsche Wirtschaft bereitet sich auf Brexit-Chaos vor

Die Brexit-Unterhändler hatten sich geeinigt, doch der Psychothriller um den EU-Austritt der Briten geht auf der Insel in die Verlängerung: Minister-Rücktritte und ein angekündigtes Misstrauensvotum gegen Premierministerin Theresa May verunsichern die europäische Wirtschaft.

Die deutsche Wirtschaft will vorbereitet sein, falls es im März 2019 doch zu einem harten Brexit ohne Deal kommt. Denn noch sei „sehr unsicher“ ob es zur Ratifizierung des Vertragsentwurfes im britischen Parlament kommt, warnte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI), Joachim Lang.

Ein harter Brexit allerdings wäre „desaströs“, so Lang weiter. Ein ungeordneter Austritt Großbritanniens brächte auf beiden Seiten des Ärmelkanals Zehntausende Unternehmen und Hunderttausende Arbeitnehmer „in größte Schwierigkeiten“.

Vorsorge der deutschen Wirtschaft

Auch der Deutsche Industrie-und Handelskammertag (DIHK) bezeichnete die Billigung des Entwurfs durch das britische Kabinett daher lediglich als „ersten Schritt“ in Richtung eines geregelten Austrittsverfahrens. „Für ein Aufatmen ist es aber leider noch zu früh“, sagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.

„Es steht viel auf dem Spiel, denn das Vereinigte Königreich ist der fünftwichtigste Handelspartner für Deutschland“, betonte Schweitzer. In Großbritannien gibt es dem DIHK zufolge mehr als 2500 Niederlassungen deutscher Unternehmen mit 400.000 Arbeitsplätzen – in Deutschland mehr als 1400 britische Unternehmen, die hierzulande 240.000 Menschen beschäftigen.

Auch Schweitzer riet betroffenen Unternehmen, sich auf einen ungeregelten Brexit vorzubereiten. Der DIHK stelle dafür eine Checkliste zur Verfügung. „Mehr als 15.000 Aufrufe innerhalb einiger Wochen zeigen, dass die Unternehmen einen erhöhten Beratungsbedarf haben“, sagte der DIHK-Präsident.

Mehrheit fürchtet harten Brexit

Das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft veröffentlichte am Freitag eine Studie. Daraus geht hervor, dass jedes zweite befragte Unternehmen damit rechnet, dass in absehbarer Zeit „Grenzkontrollen, Zölle und regulatorische Hemmnisse“ den Handelsalltag mit Großbritannien bestimmen werden.

Dementsprechend haben sich viele Unternehmen durch verlagerte Produktionsstätten oder Lieferantenwechsel innerhalb der EU vorbereitet, schätzte der Chef des Instituts der Deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, die Lage im Deutschlandfunk ein. Vor allem die Automobilbranche sei von einen solchen Szenario stark belastet, „weil sie in erheblichem Maße Zulieferteile und Vorleistungsgüter aus Großbritannien bezieht und damit allein geschätzt zwei Milliarden an Zollkosten zu tragen hätte“, sagte er weiter.

So bereitet sich etwa das Unternehmen Airbus auf einen harten Brexit vor, Grundannahme sei, dass es nicht zu einem Abkommen zwischen der EU und Großbritannien geben werde. „Der Vertragsentwurf ist sicherlich ermutigend, aber wir müssen im Kopf behalten, dass das Parlament zustimmen muss“, teilt das Unternehmen seinen Mitarbeitern mit.

Grenzkontrollen und höhere Preise

Von den Firmen, die intensiv Handel mit Großbritannien treiben, gehen sogar zwei Drittel von neuen Grenzkontrollen aus, nur eins von sechs sieht das anders. Die Umfrage wurde im September und Oktober erhoben, also vor den aktuellen Ereignissen.

Und die Sorgen gehen weiter: 55 Prozent der auf dem britischen Markt agierenden Unternehmen gehen von höheren Warenpreisen durch Zölle aus. Hinzu kommen Zusatzkosten durch verschiedene rechtliche Anforderungen.

Drei Viertel der Unternehmen gehen davon aus, durch den Brexit negative Auswirkungen zu spüren, 17 Prozent erwarten sogar stark negative Folgen. Rund 23 Prozent der Firmen sehen allerdings keine Auswirkungen. Lediglich fünf Prozent der Unternehmen glauben daran, dass sich die EU und Großbritannien so wie bisher einigen können.

Weniger Sorge um deutsche Beschäftigung

Die Auswirkungen auf die Produktion und Beschäftigung in Deutschland hingegen halten die befragten Unternehmen für gering: 62 Prozent sagten, sie erwarten keine Auswirkungen, rund ein Drittel geht von geringen, nur drei Prozent von starken Folgen aus.

So zeigte sich der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV) noch angesichts des vorgebrachten Deals zuversichtlich, es sei ein Signal der politischen und der wirtschaftlichen Vernunft. Großbritannien zähle für die deutsche Land- und Ernährungswirtschaft zu den wichtigsten Exportländern.

Auch der Konsumgüterkonzern Henkel zeigte sich zunächst entspannt: „Wir sind für unterschiedliche Szenarien vorbereitet“, sagte Konzernchef Hans Van Bylen am Donnerstag. „Wir haben kein Brexit-Problem.“ Dafür sei der britische Markt mit einem Umsatzanteil von rund zwei Prozent zu klein. Für die Wirtschaft in Europa insgesamt wäre ein „ungeordneter Brexit (…) eine sehr schlechte Entwicklung“, warnte der Henkel-Chef.

Die Brexit-Unterhändler von EU und Großbritannien hatten nach monatelangen Verhandlungen am Dienstag einen Durchbruch erzielt und sich auf einen Vertragsentwurf verständigt. Das britische Kabinett billigte ihn am Mittwochabend. Das Abkommen muss nun aber noch weitere Hürden nehmen, vor allem im britischen Parlament, wo May mit erheblichem Widerstand rechnen muss.

Auswirkungen auf den Dax

Gestützt auf Kursgewinne der Wall Street ist der Dax am Freitag fester gestartet. Der deutsche Leitindex legte in den ersten Handelsminuten 0,6 Prozent auf 11.416 Zähler zu.

Die Furcht vor einem ungeregelten Ausstieg der Briten aus der EU hält die Anleger aber weiter in Atem. „Wie der Brexit ausgeht, scheint offener denn je“, sagte Anlagestratege Ulrich Stephan von der Deutschen Bank.

Der Streit über die Gestaltung des Brexit hat die Regierung von Premierministerin Theresa May in eine tiefe Krise gestürzt. Händlern zufolge sind Szenarien wie ein zweites Referendum, Neuwahlen oder ein harter Brexit wahrscheinlicher geworden. Investoren fürchten vor allem negative Effekte auf die europäische Wirtschaft. Kopfschmerzen bereitet ihnen auch der andauernde Streit über den italienischen Haushalt.

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