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Politik - 03.12.2018

Was Merkel beim G20-Speed-Dating erreichen konnte

Erst kam Bundeskanzlerin Angela Merkel (64, CDU) wegen der Regierungsflieger-Panne zwölf Stunden zu spät nach Argentinien, zum Ende des G20-Gipfels hatte sie dann plötzlich doch noch sehr viel Zeit.

Ein halber Tag in Buenos Aires blieb Merkel zwischen Gipfel-Ende und Rückreise – und den nutzte sie ausgiebig! Zunächst für einen Spaziergang im eleganten Stadtviertel Recoleta, dann für die Besichtigung einer Kirche – und zu guter Letzt für ein Abendessen im Steakhouse „Don Julio“.

Bei den Argentiniern kam die Bodenständigkeit der Kanzlerin gut an. Schon im Steakhouse wurde Merkel herzlich empfangen und posierte auf einem Foto mit dem Küchenteam des Restaurants – und als Angela Merkel wieder rauskam, standen draußen über 100 Menschen, Handys wurden gezückt, einige riefen „Angela, Angela“.

@todonoticias Ángela merkel en don julio pic.twitter.com/TygOZCqm1A

— Coti 🌴 (@Cotiesparab) December 2, 2018

Gesprächs-Marathon

Verdient hatte sich die Kanzlerin die kurze Atempause in Buenos Aires angesichts des Gipfels allemal. Wegen ihrer verspäteten Anreise musste Merkel alle wichtigen Gespräche mit anderen Staats- und Regierungschefs am letzten Gipfeltag abhalten. Fünf bilaterale Gespräche gab es am Samstag, zwei Arbeitssitzungen, eine Pressekonferenz. Speed-Dating auf höchstem Niveau!

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▶︎ Am wichtigsten war das Treffen mit US-Präsident Donald Trump (72): Eigentlich für Freitag angesetzt, musste es doch Samstagmittag in Merkels hart getakteten Terminplan gequetscht werden. Trump, normalerweise wegen Deutschlands Export-Überschüssen und Knauserigkeit beim Nato-Etat in Stänker-Laune, gab sich in Argentinien erstaunlich umgänglich.

Das war vor schon vorab beim Top-Thema, der Krim-Krise, spürbar: „Angela, lasst uns Angela einbeziehen“, sagte Donald Trump schon vor dem Treffen mit der Kanzlerin.

▶︎ Aus gutem Grund: Merkel wäre in einer Führungsrolle beim Showdown mit Putin, argumentierte Michael O’Hanlon (57) vom Think-Tank Brookings Institution gegenüber BILD: Denn auf Washington sei derzeit kein Verlass. Dass Putin nicht komplett über die Stränge haut, sei ein Verdienst der EU im Allgemeinen und Berlins im Besonderen, sagte der Weltpolitik-Experte.

Putin erteilt Frieden mit Ukraine eine Abfuhr

Bevor Bundeskanzlerin Merkel auf Präsident Trump traf, führte sie noch ein Gespräch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin (66). Bei dem Gespräch konnten sich die beiden Staatschefs jedoch nur darauf einigen, weitere Gespräche zu führen.

▶︎ Noch am selben Tag erteilte Putin einem Frieden mit der ukrainischen Regierung eine Abfuhr. „Der Krieg wird weitergehen, solange sie an der Macht bleibt“, erklärte der Kreml-Chef.

▶︎ Hintergrund: Am 25. November brachten Schiffe des russischen Geheimdienstes FSB drei ukrainische Schiffe auf, die die Straße von Kertsch passieren wollten. Der FSB nahm mehrere Matrosen gefangen und warf ihnen vor, die russische Grenze verletzen zu wollen. Denn: Seit Russland 2014 die Krim illegal annektierte betrachtet es das See-Gebiet völkerrechtswidrig als eigenes Territorium.

Merkel und Trump verhandeln Handelsstreit

Besser lief es da mit US-Präsident Trump: Der lobte die „freundschaftliche, tolle Arbeitsbeziehung“ mit der Kanzlerin, meinte, sie werde „respektiert von allen, mir eingeschlossen“. Nicht verkneifen konnte sich Trump jedoch seine latente Unzufriedenheit über die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen: „Wir haben ein großes Ungleichgewicht beim Handel, wir werden das bereinigen“, sagte er.

Beim Handelsstreit hatte sich die Bundeskanzlerin vorgenommen, die Wogen zu glätten. Zuletzt drohte Trump, schon kommende Woche Autoimporte aus Deutschland mit 25-prozentigen Strafzöllen zu belegen – ein potenziell schwerer Schlag für die Autoindustrie. Deutschlands Autobosse treffen sich am Dienstag mit Trump zu Verhandlungen im Weißen Haus.

Doch die Kanzlerin könnte davon profitieren, dass Trump an der Handelsfront zuletzt unter Druck geraten ist. „Handelskriege sind einfach zu gewinnen“, sagte er früher. Aber jetzt werden die Konsequenzen seiner aggressiven Handelspolitik auch in den USA spürbar: Der Autokonzern GM will 15 000 vor allem amerikanische Mitarbeiter entlassen und die Zölle auf Stahl und Aluminium verteuerten die heimische Produktion spürbar.

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Dass Trump wenig Lust am Anzetteln eines neuen „Autokrieges“ mit Deutschland haben dürfte, wird auch damit begründet, dass er gerade eher auf den Showdown mit Peking fokussiere. Stunden nach den Merkel-Treffen verlief das höchstkarätigste, bilaterale Treffen des Gipfels zwischen Trump und Chinas Präsidenten Xi Jinping (65) erfolgreich.

Beide Seiten einigten sich, keine zusätzlichen Zölle nach dem 1. Januar zu erheben. Dann sollen die Verhandlungen zwischen beiden Seiten fortgesetzt werden. Merkel hatte zuvor mit beiden Regierungschefs gesprochen. Sie hoffte, dass das gemeinsame Treffen „Lösungen“ bringen würde. „Denn wir alle, das merken wir, sind indirekt davon beeinflusst, wenn die chinesisch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen nicht so reibungsfrei laufen, wie eine Weltordnung das braucht.“

An einem Strang schienen Merkel und Trump dann auch bei der Reform der Welthandels-Organisation (WTO) zu ziehen, was vor allem dem US-Präsidenten ein zentrales Anliegen war. Trump kritisiert seit Langem, dass die WTO vor allem gegen Pekings Protektionismus zu zahnlos wäre. „Alle stimmen zu, dass eine Reform nötig ist“, sagte dazu auch Merkel: „Das ist eine wichtige Vereinbarung.“

Neben Merkels Dynamik war auch Trumps Leisetreten auffällig: Er schickte seine Minister in Arbeitssitzungen und verzichtete auf eine Pressekonferenz. Die waren aus Respekt vor dem kurz vorher verstorbenen Ex-Präsidenten George H.W. Bush (94) abgesagt. Merkel nutzte das Treffen mit Trump, um den ehemaligen Präsidenten als „Vater der deutschen Wiedervereinigung“ zu würdigen.

Das sind die Beschlüsse der G20

▶︎ Reform der WTO: Das internationale Handelssystem bleibe derzeit hinter seinen Zielsetzungen zurück, stellen die Staats- und Regierungschefs fest. „Wir unterstützen daher die notwendige Reform der WTO, um ihre Arbeitsweise zu verbessern.“ Dazu gehören die Vereinbarung besserer Spielregeln und eine Reform der Streitschlichtungsverfahren.

▶ ︎Kampf gegen den Klimawandel: Mit Ausnahme der USA versichern in Buenos Aires alle anderen Staaten, an den 2015 eingegangenen Verpflichtungen festhalten zu wollen. Sie sehen vor, den Anstieg der globalen Temperatur auf weniger als zwei Grad und möglichst 1,5 Grad zu begrenzen. Vergleichsmaßstab ist die Zeit vor der Industrialisierung. Als Wackelkandidat beim Thema hatten zuletzt Brasilien und die Türkei gegolten.

▶︎Streit um Sonderzölle: Mit der Einführung von Sonderzöllen versucht US-Präsident Donald Trump seit einigen Monaten, heimische Unternehmen vor ausländischer Konkurrenz zu schützen – zur Empörung betroffener exportstarker Regionen wie der EU und China. Beim G20-Gipfel gab es keine Entspannung, aber immerhin auch keine neue Eskalation. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker betonte, zwischen der EU und den USA gelte im Handelsstreit weiter das im Juli ausgehandelte Stillhalteabkommen.

▶ ︎Das internationale Steuersystem und die Digitalsteuer: Konzerne wie Amazon oder Apple verbuchen in Europa riesige Gewinne, müssen aber vergleichsweise wenig Steuern zahlen, da sie in den meisten Ländern keine versteuerbaren Firmensitze besitzen. Die G20 wollen daran soweit nichts ändern. „Wir werden weiter gemeinsam daran arbeiten, eine Konsenslösung hinsichtlich der Auswirkungen der Digitalisierung der Wirtschaft auf das internationale Steuersystem zu finden“, heißt es schwammig in der Abschlusserklärung.

▶︎Steuerbetrug und Währungsfonds: Hier bekennen die G20 sich zu mehr Datenaustausch, um Steuerbetrügern das Handwerk zu legen. Zudem will man strengere Maßstäbe für die Erfassung von Staaten und Gebiete, „die die Standards zur Transparenz im Steuerbereich noch nicht zufriedenstellend umgesetzt haben“. Auch die Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung bei den Steuerzahlungen (BEPS) soll bekämpft werden. Weitere Kernpunkte: Die Bekämpfung neuer Finanzkrisen zur Stärkung des Internationalen Währungsfonds (IWF).

▶︎ Und sonst? Eine bessere Frauenförderung, die sichere Versorgung aller Menschen auf der Welt mit Nahrungsmitteln oder eine bessere Unterstützung von Bürgern bei Veränderungen der Arbeitswelt durch neue Technologien – zumindest bei diesen Themen fiel den G20-Staaten eine Einigung leicht.

Wie viel die G20 letztendlich zur Umsetzung der neuen Ziele beitragen werden, bleibt abzuwarten. Für viele Gipfel-Teilnehmer stellen die Beschlüsse von Buenos Aires aber eher einen Minimalkonsens dar. Denn konkrete Maßnahmen wie gegen den chinesischen Protektionismus oder die vehemente Zurückhaltung der USA beim Klimaschutz bleiben vom Gipfel unberührt.

Lediglich das bilaterale Gespräch zwischen Trump und Chinas Präsident Xi zur Beilegung des Zollstreits kann als Teilerfolg gelten – aber dieses Treffen fand erst nach dem Abschluss von G20 statt.

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