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Politik - 21.12.2018

Warum Trumps Rückzug aus Syrien ein krasser Fehler ist

Experten widersprechen: „ISIS ist nicht besiegt“

Quelle: Reuters
0:58 Min.

Der Tweet schlug ein wie eine Bombe.

Donald Trump twitterte am Mittwochabend: „Wir haben ISIS in Syrien besiegt, mein einziger Grund, während der Trump-Präsidentschaft dort zu sein.“

We have defeated ISIS in Syria, my only reason for being there during the Trump Presidency.

— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) December 19, 2018

Kurz darauf erklärte der US-Präsident in einer Video-Ansprache: „Wir haben gegen ISIS gewonnen. Wir haben sie geschlagen und wir haben sie hart geschlagen und wir haben das Land zurückerobert und jetzt ist es Zeit für unsere Truppen, nach Hause zu kommen.“

After historic victories against ISIS, it’s time to bring our great young people home! pic.twitter.com/xoNjFzQFTp

— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) December 19, 2018

▶︎ Aber stimmt das auch?

Sogar Trumps Parteikollegen schockiert

Führende Senatoren der republikanischen Partei widersprachen Trump umgehend.

Marco Rubio erklärte bei Twitter, der angekündigte Abzug der US-Truppen aus Syrien werde „schlimme Konsequenzen für die USA und Israel“ haben und „nützt ISIS, dem Iran und der Hisbollah“.

US-Senator Lindsey Graham widersprach Trump noch vehementer. Er erklärte: „Bei allem Respekt, ISIS wurde in Syrien und im Irak nicht besiegt, und nachdem ich gerade von einem Besuch dorthin zurückgekehrt bin – schon gar nicht in Afghanistan“.

Auch aus Europa kam Gegenwind: „Ich stimme überhaupt nicht zu“, antwortete der britische Verteidigungsminister Tobias Ellwood nach nur wenigen Minuten auf Twitter. ISIS habe sich „in andere Formen des Extremismus verwandelt“ und die Bedrohung sei auch weiterhin „sehr lebendig“.

Auch der deutsche Außenminister Heiko Maas widersprach: „Nach wie vor gibt es Strukturen im Untergrund, sind die Terroristen im Osten Syriens aktiv.“ Der amerikanische Kurswechsel komme „überraschend“ und es bestehe „die Gefahr, dass die Konsequenzen dieser Entscheidung dem Kampf gegen IS schaden und die erreichten Erfolge gefährden“.

Die neusten Daten der in Syrien kämpfenden US-Armee widersprechen den Aussagen des US-Präsidenten ebenfalls. Nur neun Stunden vor seiner Erklärung veröffentlichte sie die jüngsten Zahlen zum Kampf gegen ISIS in Syrien. Darin verkündet sie sagenhafte eigene 239 Angriffe auf die Terroristen seit dem 9. Dezember.

Auch am Donnerstagabend, nur Stunden nach Trumps Behauptung, gingen die schweren Gefechte zwischen US-Verbündeten und der US-Luftwaffe auf der einen Seite und ISIS-Einheiten auf der anderen Seite rund um die Stadt Hajin im Osten des Landes weiter. Dies meldeten zahlreiche Beobachter der Lage aus der Provinz Deir Ezzor im Osten des Landes.

Die „Syrischen Demokratischen Kräfte“ (SDF), der kurdisch-dominierte US-Verbündete am Boden, veröffentlichte am Donnerstag ein Statement, das die Lage vor Ort erklärt.

In einer Zeit, in der wir in den letzten Hochburgen heftige Kämpfe gegen den Terrorismus führen, sowie gegen Schläferzellen und terroristische Elemente, die sich in den befreiten Gebieten verstecken und versuchen, sich in der Region neu zu organisieren, beschließt das Weiße Haus, sich aus dem Norden und Osten Syriens zurückzuziehen. Dies wird die Kampagne gegen den Terrorismus negativ beeinflussen.

Die mit den USA verbündeten SDF haben im Kampf gegen ISIS in den letzten 12 Monaten nach eigenen Angaben fast 3 000 Männer und Frauen verloren.

Syrien-Experten widersprechen Trump

BILD fragte renommierte Syrien- und Terrorismus-Experten, ob ISIS im Land tatsächlich besiegt worden sei.

„Nein, ISIS ist nicht besiegt“, stellte Terror-Experte Professor Peter Neumann vom Londoner King’s College klar. Der selbsternannte „Islamische Staat“ sei zwar „in der Defensive, hat 98 Prozent seines Territoriums verloren. Aber er hat noch mindestens 5000 Kämpfer und ein weltweites Netz an Unterstützern. An vielen Orten in Syrien und im Irak gibt es Untergrundstrukturen mit Kämpfern, die nur darauf warten, dass der militärische Druck von Amerika und seinen Partnern nachlässt.“

  • USA ziehen schon Truppen ab

    Trump: „Wir haben ISIS in Syrien besiegt“

    Die USA haben laut Trump-Sprecherin Sarah Huckabee Sanders mit dem Abzug ihrer Truppen aus Syrien begonnen.

Syrien- und Terrorismus-Fachmann Kyle Orton hat ebenfalls eine klare Antwort: „Trump hat ISIS nicht besiegt, nicht einmal deren ‚territoriales Kalifat‘, wie es im Weißen Haus heißt“.Die Terroristen seien in den noch von ihnen kontrollierten Gebieten „nach wie vor einflussreich, und stark genug, um direkt nach seiner Ansage am Montag einen Gegenangriff durchzuführen“.

Doch auch nachdem ISIS die direkte Kontrolle von Gebieten entrissen werde, sei das noch lange nicht das Ende der Terrormiliz. Orton zu BILD: „Generell ist im Irak ein starker Aufstand von ISIS im Gange, der vor allem nachts in der Lage ist, ein beträchtliches Maß an sozialer Kontrolle über ganze Landstriche auszuüben.“ Die politischen Bedingungen, sowohl im Irak als auch in Syrien, begünstigten zudem ein Wiederstarken der Terroristen.

Auch Rena Netjes, Nahost-Expertin und Korrespondentin mit Sitz in Istanbul, widerspricht dem ‚Sieg über ISIS‘: „Nein, es gibt noch ISIS-Gebiete in Ostsyrien und in Südsyrien.“ Auch die niederländische Journalistin warnt, die Terrororganisation sei nicht nur weiter präsent, sondern könne auch jederzeit wieder erstarken: „Sowohl im Irak als auch in Syrien gibt es immer noch eine Politik, die zum Aufstieg von ISIS geführt hat.“

Der Menschenrechtsaktivist und Ersteller zahlreicher Karten zum Konflikt in Syrien Thomas van Linge findet es „ziemlich offensichtlich, dass ISIS keine Gruppe ist, die nach einer einzelnen Niederlage als ‚besiegt‘ gelten kann“. Gegenüber BILD erklärte er: „Im Irak wurde die Gruppe vor einem Jahr für besiegt erklärt und irakische Soldaten sterben immer noch bei Angriffen der Gruppe. In Syrien wird es wahrscheinlich nicht viel anders sein. Sie werden höchstwahrscheinlich genauso wie im Irak auf Guerilla-Taktiken umsteigen.“

Iran und ISIS Gewinner der Trump-Entscheidung

Doch wem nützt die Trump-Entscheidung, die US-Truppen rasch und komplett aus Syrien anzuziehen?

Norbert Röttgen (CDU), Chef des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, hat darauf eine klare Antwort. Bei Twitter meldete er am Donnerstagvormittag: „Durch den Truppenabzug in Syrien lässt Trump den Gegnern in der Region nun endgültig freie Bahn.“

Dies sehen auch die von BILD befragten Experten so.

Laut Türkei-Korrespondentin Rena Netjes wäre ein US-Abzug „eine großartige Nachricht für den Iran, der nun Syrer ausbildet, damit seine ausländischen Milizen, wie von anderen Ländern verlangt, abziehen können“. Mit iranisch kontrollierten syrischen Milizen vor Ort hätten die Mullahs ihr Ziel erreicht, eine Landverbindung zwischen Teheran und dem Mittelmeer zu kontrollieren und Israel damit zusätzlich unter Druck setzen zu können.

Für Kyle Orton ist „ein derartiger Rückzug eine Katastrophe“. Mit dem Abzug lasse Trump den einzigen Verbündeten vor Ort im Stich, nämlich die von der kurdischen „YPG“ dominierten „Syrischen Demokratischen Kräfte“. Orton meint: „Der Verzicht auf Verbündete, egal was man von der YPG hält, ist für westliche Interessen nicht hilfreich, und die YPG wird sich jetzt wieder dem Regime zuwenden müssen, womit sie effektiv den Krieg für den Iran führen wird.“

Terror-Experte Peter Neumann sieht sogar die Terrormiliz ISIS als größten Gewinner des plötzlichen Politik-Wechsels durch Donald Trump. Zu BILD sagte er: „Der Rückzug Amerikas schafft ein Vakuum. Hauptprofiteur ist der IS, der bereits seit längere Zeit auf genau diese Möglichkeit wartet. Genauso profitieren könnten Assad und seine Alliierten im Iran und Russland, die kein Gegengewicht mehr haben.“

Dies, so Neumann, wäre auch eine Bedrohung für Israel.

Unterdessen hat Russlands Staatschef Wladimir Putin die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump zum US-Truppenabzug aus Syrien begrüßt. Die Entscheidung der USA sei „richtig“, sagte Putin am Donnerstag bei seiner traditionellen Jahrespressekonferenz in Moskau.

Auch Assads Staatsfernsehen zeigte sich zufrieden: „Syrien hat immer den Abzug der illegalen ausländischen Kräfte aus unserem Land gefordert“, so eine Erklärung beim staatlichen Medium „SANA“.

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