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Politik - 29.12.2018

Schleswig-Holstein 1978: Als der Norden in Schnee und Eis versank

Schleswig-Holstein Ende Dezember 1978: Während der Schneekatastrophe kam es auch zu diesem Zusammenprall eines Triebwagen mit einer Dieselllok. (Quelle: Beutner/ullstein bild)

Sechs Menschen starben, dazu unzählige Tiere – vor 40 Jahren suchte eine eisige Katastrophe Schleswig-Holstein heim. Eine besondere metereologische Konstellation war verantwortlich. 

Die Katastrophe kommt nach Weihnachten: Vor 40 Jahren, am 28. Dezember 1978, ändert sich das milde Wetter schlagartig. Eisige, trockene Luft aus Skandinavien und feuchte Warmluft aus dem Rheinland treffen über der Ostsee aufeinander. „Eine sehr ungewöhnliche, seltene Wetterlage“, sagt der Meteorologe und Klimaforscher Tobias Bayer vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Die Folgen für das Land zwischen den Meeren sind dramatisch. Schleswig-Holstein versinkt unter Schneemassen.

Haushohe Verwehungen, auf der Ostsee festgefrorene Schiffe, klirrende Kälte von minus 20 Grad Celsius. Auf Straßen, Schienen und zugefrorenen Gewässern geht oft nichts mehr. Ein Land wie an den Nordpol verschoben. Viele Dörfer sind von der Umwelt abgeschnitten, rund 80 Ortschaften ohne Strom. Bauern schütten die Milch ihrer Kühe in den Schnee. Tiere verenden. Sechs Menschen sterben. Hubschrauber der Bundeswehr werfen Futtersäcke über Bauernhöfen ab, bringen Windeln für Babys, Medikamente, Lebensmittel. Dialyse-Patienten und Hochschwangere werden in Krankenhäuser geflogen.

„Press die Knie zusammen“

„Wir konnten aus der Luft Straßen oder Grundstücke gar nicht genau erkennen, weil alles schneeverdeckt war“, erinnert sich Dieter Roeder. Der 70-Jährige steuerte damals als Pilot einen Transporthelikopter. Rund 70 „Heli-Babies“ wurden geboren. „Press die Knie zusammen, wir sind gleich da“, sagte Roeder zu einer Schwangeren, bei der schon die Fruchtblase geplatzt war. In einem Hubschrauber sei aber kein einziges Kind zur Welt gekommen.

Umgebung von Neumünster: Auch die Bundeswehr setzte Soldaten und Gerät während der Schneekatastrophe ein. (Quelle: ullstein bild/dpa)

Das erste Unwetter dauerte bis zum 3. Januar 1979. Das Magazin „Stern“ brachte damals ein Titelfoto des Fotografen Kai Greiser mit der Überschrift „Als nichts mehr ging – der Sechs-Tage-Krieg gegen den Schnee“. Ein zweites Mal setzten Schneemassen dem Norden dann noch vom 13. bis 18. Februar zu. Am stärksten betroffen war der nördlichste Landesteil.

25.000 Helfer vom Technischen Hilfswerk (THW) oder dem Deutschen Roten Kreuz (DRK), 15.000 Feuerwehrleute und rund 3.000 Soldaten waren im Einsatz. „Vom Sonnaufgang bis Sonnenuntergang sind wir jeden Tag geflogen, oft mussten wir selber über Hilfsaktionen entscheiden“, erinnert sich Roeder über die Anlaufschwierigkeiten des koordinierenden Katastrophenabwehrstabes. Heute sieht Schleswig-Holsteins Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) die Behörden deutlich besser gewappnet.

Gewaltiges Interesse

„Die Schneekatastrophe hat sich in das kollektive Gedächtnis der Schleswig-Holsteiner eingebrannt“, sagt Miriam J. Hoffmann. Die Leiterin des Kreismuseums Itzehoe ist selber ein „Schnee-Baby“. Ihre Eltern kämpften sich damals mit viel Glück mit ihrem VW-Käfer über zugeschneite Straßen von Neumünster nach Kiel, wo ihre Mutter entband – ohne Komplikationen.

Jetzt zeigt Hoffmann im Kreismuseum eine Sonderausstellung (bis 24. Februar) über die Schneekatastrophe – mit Fotos, Filmen, Lesungen. „Die Resonanz ist gewaltig, das hätte ich nie gedacht.“ Statt sonst etwa 5.000 Mal sei die Museums-Homepage bereits 70.000 Mal online aufgerufen worden – darunter 40 Prozent Aufrufe aus dem Ausland wie den USA oder China, vermutlich von Menschen, die Bindungen zu Schleswig-Holstein haben.

Rendsburg im Dezember 1978: Das nördliche Bundesland Schleswig-Holstein wurde unter Schneemassen begraben. (Quelle: Georg Spring/dpa)

„Jeder hat seine eigene, ganz persönliche Erinnerung an die Schneekatastrophe“, erklärt Hoffmann. Und diese Erinnerungen sei oft auch geprägt von positiven Erfahrungen. „Der soziale Zusammenhalt war sehr groß, die Menschen haben sich gegenseitig geholfen – das wissen wir von vielen Zeitzeugen.“

„Über die zugefrorene, drei Meter tiefe Fahrrinne“

Fiede Nissen, der Postschiffer von Hallig Langeneß, muss schmunzeln, wenn er zurückdenkt. Auf manchen Warften konnten die Bewohner wegen der hohen Schneewehen das Haus nur übers Fenster im ersten Stock verlassen. Und weil es mit dem Boot nicht mehr ging und sich immer wieder Eisschollen auf den Loren-Damm geschoben hatten, sind er und ein paar Freunde mit einem VW-Buggy und einem alten Opel Kadett an einem Tag übers zugefrorene Watt zur Hallig Gröde gefahren, um die Post zu bringen.

„Das war ein uriges Gefühl, wir mussten auch über die zugefrorene, drei Meter tiefe Fahrrinne“ sagte Nissen. „Da war sehr viel Leichtsinn dabei, aber wir waren halt jung.“ Die Postfrau auf Gröde habe gestaunt. „Die brachte einen Karton Kümmerling und meinte „den habt ihr euch verdient“.“ Für die Hinfahrt brauchten Nissen und seine Kumpel wegen des mehrfachen Prüfens, ob das Eis hält, etwa anderthalb Stunden. „Zurück dauerte das vielleicht noch zehn Minuten, wir kannten ja den Weg und mussten Gummi geben wegen der nächsten Flut.“

Flensburg: Im Februar 1979 kam es nochmals zu dramatischen Schneefällen. (Quelle: Werner Baum/dpa)

„Die Menschen auf den Halligen sind auf Unwetter besser eingestellt als viele auf dem Festland“, sagt Nissen nachdenklich. Man habe Vorräte und Notstrom-Aggregate. „Wir haben gesehen, wie auf dem Festland die Lichter ausgingen, da haben wir unseren Diesel angeworfen.“ In diesem Jahr habe die Schleswig-Holstein Netz AG die alten Notstromaggregate durch neue ersetzt. „Wir haben auf den Halligen damals viel Gutes erfahren, man hat uns nicht im Stich gelassen“, sagt Nissen und verweist auf Hilfsflüge der Bundeswehr.

Wiederholung eher unwahrscheinlich

Als „ein einziges großes Abenteuer“ hat der damals zwölfjährige Dirk Billerbeck in Glücksburg bei Flensburg die Zeit empfunden. „Wir Kinder hatten schulfrei, wir haben im Schnee gebuddelt, gespielt und Höhlen gebaut“, sagt Billerbeck. „Über eine hohe Schneewehe bin ich aufs Dach eines Hauses gegangen und an anderer Stelle in den Schnee gesprungen.“ Zuhause habe man eine Tiefkühltruhe mit genug Vorräten gehabt, der Strom sei nur einmal kurz nachts ausgefallen. Nachdem eine Schneefräse den Weg zum Ort freigemacht habe, habe er auf den hohen Schneemassen sitzend sogar auf einen 40-Tonnen-Laster herunterschauen können.
 

  • Vor 50 Jahren:

 
„Meinen Kindern würde ich auch solche Erfahrungen wünschen“, sagt Billerbeck. Allerdings sieht er gleich Probleme im Vergleich zu damals: „Wir haben keine Tiefkühltruhe und keine eigene Heizung im Haus, sondern Fernwärme – wenn da der Strom ausfällt…“ Hoffmann hatte in der Ausstellung eine siebte Schulklasse aus Heide, die Schüler meinten spontan, „so etwas wollen wir auch mal erleben!“

Klimaforscher Bayr hält das für zunehmend unwahrscheinlich. Im Vergleich zu vorindustriellen Zeit sei es in Schleswig-Holstein heute 1,5 Grad wärmer. Und die Zahl der Frosttage im Jahr sei seit den 1950er Jahren von 82 auf etwa 60 Tage gesunken.

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