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Wirtschaft - 04.02.2019

Wiederentdeckung eines alten Partners

Bei ihrem ersten Japan-Besuch seit vier Jahren geht es Bundeskanzlerin Angela Merkel um eine Wertepartnerschaft. Dabei vollzieht sie eine Kursänderung in ihrer Außenpolitik. Von Martin Fritz, Tokio.

In der Auseinandersetzung mit US-Präsident Donald Trump sucht die deutsche Bundesregierung nach neuen Verbündeten für den Multilateralismus, bei dem Staaten ihre nationale Politik abstimmen und den Ausgleich suchen, statt ihre Interessen mit dem Einsatz von Ellenbogen durchzusetzen. „Es gibt viele, die willens sind, die multilaterale Ordnung zu stärken“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Weltwirtschaftsforum im Januar in Davos. Als einen dieser neuen Verbündeten hat die Kanzlerin Japan auserkoren. Als Zeichen dafür besucht sie am Montag und Dienstag die fernöstliche Wirtschaftsmacht zum ersten Mal seit vier Jahren.

Die Einstufung von Japan als Wertepartner überrascht inhaltlich kaum. Beide Länder teilen grundlegende politische Überzeugungen. Japan und Deutschland sind Demokratien und Rechtsstaaten und treten als Exportnationen für den regelbasierten Freihandel ein. Daher sind die Beziehungen zwischen Berlin und Tokio traditionell gut und weitgehend reibungsfrei. Dennoch vollzieht die Kanzlerin mit der Ausrufung einer Wertepartnerschaft mit Japan eine Kursänderung in ihrer Außenpolitik, weil sie in ihren bisher mehr als 13 Regierungsjahren die Inselnation erkennbar links liegengelassen hat.

Kehrtwende nach 13 Jahren

Außer zum G8-Gipfel in Toyako 2008 und zum G7-Gipfel in Ise-Shima 2016 hat Merkel nur zwei kurze Pflichtbesuche in Japan absolviert, das letzte Mal im März 2015 als Vorbereitung auf den G7-Gipfel in Elmenau. Dagegen hat sie China zehn Mal besucht. Diese unterschiedliche Behandlung wurde in Japan genau registriert und als Herabstufung gewertet, erläutert Torsten Weber, Historiker am Deutschen Institut für Japanstudien in Tokio. Dieses japanische Gefühl sei bei Merkel endlich angekommen. Japan möge nicht mehr die Nummer eins in Asien sein, meint Weber, aber beide Länder hätten gemeinsame Ziele, etwa beim demografischen Wandel.

G7-Gipfel in Ise-Shima (2016): Japan links liegengelassen

Die Wiederentdeckung von Japan als deutscher Partner geht auf den ehemaligen Bundespräsident Joachim Gauck zurück, der Japan im November 2016 besuchte. Deutschland und Japan verbinde durch das klare Bekenntnis zu Demokratie und freiheitlichen Grundrechten eine „Wertegemeinschaft“, sagte Gauck damals.

Aber erst die Attacken von US-Präsident Donald Trump auf die Grundfesten der alten Weltordnung haben Berlin wachgerüttelt. Seitdem geben sich deutsche Besucher in Tokio beinahe die Klinke in die Hand: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kam im Februar 2018 nach Tokio. Ende Oktober forderte Wirtschaftsminister Peter Altmaier bei seinem Japan-Besuch, die Beziehungen zu revitalisieren und bezeichnete Japan als „strategischen Wertepartner“. Damit meinte der Altmaier vor allem die Handels- und Wirtschaftspolitik.

Es ist sicher kein Zufall, dass Merkel als erste europäische Regierungschefin nur wenige Tage nach Inkrafttreten des EU-Japan-Freihandelsabkommens nach Tokio gereist ist. Der bisher größte von der Europäischen Union und Japan geschlossene Handelsvertrag verbindet Märkte mit mehr als 600 Millionen Menschen und umfasst 40 Prozent des Welthandels.

Japanbesucher Steinmeier mit Gastgeber Abe (2018): Wachgerüttelt durch Trumps Attacken

„Merkel geht es vor allem darum, ein Signal an Washington zu senden, um das unilaterale Handeln Trumps zu kontern“, sagt der deutsche Politologe Sebastian Maslow, der an der Universität Tokio forscht. Der Besuch der Kanzlerin habe mehr symbolische Bedeutung, als die bilateralen Beziehungen substanziell auszubauen.

Japanischer Fokus auf Zukunftstechnologien

Die japanische Seite betont vor allem die bilaterale Zusammenarbeit bei Zukunftstechnologien. Die deutsche Strategie „Industrie 4.0“ für die Digitalisierung von Produktion und Lieferketten wird in Japan bewundert und fand in der Vision einer „Gesellschaft 5.0“ ein eigenes nationales Echo. Mehrere deutsch-japanische Kooperationen auf der Ebene von Institutionen und Organisationen zielen auf eine engere Zusammenarbeit bei Digitalisierung und künstlicher Intelligenz.

Premierminister Shinzo Abe will den Datenverkehr über Grenzen hinweg auf dem G20-Gipfel in Osaka thematisieren. Nationale Daten etwa aus dem Gesundheitswesen sollen international nutzbar gemacht werden, ohne dass der Datenschutz von Privatpersonen darunter leidet. Daten gelten als Rohstoff des 21. Jahrhunderts, weil sie die Arbeitsgrundlage für smarte Algorithmen sind.

Andererseits verfolgen Deutschland und Japan nicht immer die gleichen außenpolitischen Ziele. Japan sieht China als größten politischen Rivalen in Asien und stärkt daher seine Verteidigungskraft, auch weil China Besitzansprüche auf Japans Senkaku-Inseln im Ostchinesischen Meer (auf Chinesisch: Diaoyu-Inseln) erhebt. Vor diesem Hintergrund bemüht sich Premier Abe auch um eine Annäherung an die NATO.

Währenddessen verfolgt Deutschland in China vor allem wirtschaftliche Interessen. Daher wird die deutsche Bundesregierung einen allzu engen politischen Schulterschluss mit Japan vermeiden, um keinen Unmut bei der Regierung in Peking auszulösen. „Schließlich lässt sich China in der deutschen Außenhandelspolitik nicht durch Japan ersetzen“, betont der Politologe Maslow.

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