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Wirtschaft - 16.03.2019

„Man schämt sich als Eisenbahner“

Zugausfälle! Verspätungen! Bahnchaos!

In einem offenen Brief an den Bundestag lässt jetzt ein Lokführer aus Mannheim Dampf ab! Der 50-Jährige (möchte nicht namentlich genannt werden) berichtet über jahrelanges Missmanagement bei der Bahn, Geldverschwendung und Fehlplanungen. Er selbst werde behandelt „wie der letzte Dreck“.

Auszüge aus dem Brief:

Ich bin Lokführer aus Leidenschaft seit fast 30 Jahren, ein 100 Prozent überzeugter Vollblut-Eisenbahner mit Leib und Seele, der schon sehr lange über den mittlerweile besorgniserregenden Zustand der Bahn entsetzt ist.

Wie konnte es nur soweit kommen ?

Was ich in den vergangenen 20 Jahren mit ansehen musste, ist ein Albtraum, aus dem es scheinbar kein Erwachen gibt. Man denkt sich immer, schlimmer können es „die da oben“ doch nicht noch machen – aber weit gefehlt, unsere Manager können das mit Leichtigkeit. Mit dem, was seit 1994 alles schief gelaufen ist, könnte ich dicke Bücher füllen.

Was haben wir nicht alles an Umstrukturierungen über uns ergehen lassen müssen, die haben allesamt nichts gebracht, sondern es von Mal zu Mal nur noch verschlimmert.

  • Neue Zeitrechnung bei der Bahn

    Mit 15 Minuten Verspätung ist ein ICE noch pünktlich

    Ab Montag kann ein ICE auch mit 15 Minuten Verspätung noch pünktlich sein. Möglich macht das nach BamS-Informationen eine zusätzlich…

Externe Beraterfirmen hinzugezogen, die von der Eisenbahn nicht den blassesten Schimmer haben. Die Consulting Agenturen haben der DB nichts gebracht, außer unnütz ausgegebenes Geld. Deswegen habe ich über die Jahre hinweg immer mehr den Eindruck gewonnen, als ob unsere „studierte Elite“ nicht mehr die notwendigen Fähigkeiten besitzt, die anstehenden Probleme adäquat zu lösen.

Es kommt mir langsam so vor, dass die nicht mehr genug verstehen, kennen alles nur aus der Theorie, haben keine Ahnung. Es fehlt halt ganz einfach das praktische Wissen.

Ich arbeite zur Zeit bei DB-Cargo, war vorher bei DB-Regio, habe die Fahrberechtigung für 30 verschiedene Baureihen und etwa 1,5 Millionen Kilometer hinter mir. Inzwischen habe ich viel zu oft eine 6-Tage-Woche mit bis zu 55 Stunden Arbeitszeit und schiebe mehr als 400 Überstunden vor mir her (es gibt Kollegen die haben 700) – wegen chronischem Personalmangel, wegen jahrelanger verfehlter Personalpolitik unserer ach so tollen Führung. Ich fühle mich mittlerweile ausgequetscht wie eine Zitrone.

„Ich fühle mich wie der letzte Dreck“

Das alles verantwortet von unserer unfähigen Führung, angefangen 1994 mit dem Herrn Dürr (AEG Elektro), Ludewig (Agrarier), Mehdorn (Heidelberger Druck), Grube (Auto & Flugzeug) – auf jeden Fall alles keine Eisenbahner, die irgendeine Ahnung vom Betrieb gehabt hätten.

Mein letzter Krankentag war im Februar 2004, also vor 15 Jahren, seitdem komme ich brav jeden Tag auf die Arbeit. Ich bin so frustriert, demotiviert, überarbeitet, übermüdet, schleppe mich von Schicht zu Schicht. Ich fühle mich als verbeamteter Lokführer bei der DB-AG behandelt wie der „letzte Dreck“.

Unsere Pausen- und Aufenthaltsräume sehen manchmal aus wie unter aller Sau, muten an wie aus dem vorigen Jahrhundert, es gibt sogar welche ohne WC – ein absolutes Unding! Das Soziale hat sowieso stark nachgelassen. Früher war die Kantine im Frankfurter Hbf die ganze Nacht offen, man bekam selbst um Mitternacht noch eine vollständige, warme Mahlzeit. Unzählige Kantinen wurden inzwischen geschlossen. An die Mitarbeiter, die im Schichtdienst arbeiten, denkt keiner mehr.

Ich fuhr letztens mit dem DB-Regio (IRE 19042) von Stuttgart nach Karlsruhe. Kurz hinter Weingarten/Baden ging die Klimaanlage aus. Aha, dachte ich: Hauptschalter gefallen. Wenig später Durchsage vom Zugführer: Wegen einer technischen Störung auf der Lok verschiebt sich unsere Weiterfahrt auf unbestimmte Zeit. So so !

  • Der Atlas der Bahn-Baustellen

    Achtung, HIER bahnen sich krasse Verspätungen an

    Bahnkunden müssen auch in diesem Jahr mit zahlreichen Baustellen im deutschen Netz rechnen.

„Unser Zugpersonal kann einem leid tun“

Nach 30 Minuten bin ich zum Lokführer gegangen, wir haben versucht den Stromabnehmer zu heben – erfolglos. Zu zweit gelang es uns nicht, die Lok wieder zum Laufen zu bringen, obwohl wir alles versucht haben, unmöglich. Die Computerdisplays haben ja noch nicht einmal eine Störung angezeigt. So viel zu Digitalisierung.

Wir schaffen es ja noch nicht einmal, unsere Lok’s störungsfrei zum Laufen zu bringen. Softwarefehler, Digitalisierung, wozu soll die gut sein? Im Klartext: Die Lok „BR 147“ ist Schrott und gehört auf den Müll. Warum konstruieren und bauen unsere Ingenieure solche fehlerhaften Lokomotiven ?

Wir standen von 21.45 Uhr bis kurz nach Mitternacht auf der freien Strecke, haben uns dann von einer Lok vom Fernverkehr abschleppen lassen müssen. Peinlich hoch drei! Da schämt man sich als Eisenbahner in Grund und Boden. Unser Zugpersonal kann einem leid tun, sie bekommen den ganzen aufgestauten Frust der Fahrgäste direkt zu spüren, obwohl sie für die Versäumnisse keinerlei Schuld tragen.

Ein anderes Mal sollte ich einen Güterzug von Offenburg nach Mannheim fahren. Es war der Feierabendzug und da meine Schicht über 11 Stunden war, wollte ich den wenigstens pünktlich fahren. Der Zug war fertig. Anhängen, Bremsprobe, lief alles glatt, wollte mich abfahrbereit melden um 19:00 Uhr.

Dann große Überraschung: Fahrdienstleiter teilt mir mit, mein Zug wird vom Rangierbahnhof Mannheim wegen Kapazitätsproblemen verweigert! Wenn man mit einem fix und fertigen Zug im Startbahnhof nicht abfahren kann, weil es im Zielbahnhof keine freien Gleise gibt – dann ist ein absoluter Tiefpunkt erreicht. Wie stellen die Chefs sich das denn vor? Soll ich auf der Lok übernachten und meine Hängematte oder Luftmatratze mitnehmen und darauf warten bis der Rangierbahnhof irgendwann freie Gleise hat und meinen Zug abruft?

Die Krönung: Ich wollte wieder nach Hause, am Bahnsteig stand aber noch ein Personenzug, der längst hätte abfahren sollen – kein Personal! Am Ende hatte ich in meiner Schicht von mehr als 10 Stunden einen Zug sechzig Kilometer von Freiburg nach Offenburg gefahren. Wirklich sehr wirtschaftlich!

  • Technische Störungen …

    Bei der Bahn fallen täglich 10 Züge komplett aus

    Bei der Deutschen Bahn sind 2018 nach eigenen Angaben im Durchschnitt knapp zehn Fernzüge täglich ersatzlos ausgefallen.

»Wir sind alle mitschuldig am heutigen Zustand der Bahn

Schon Bismarck hat erkannt, dass die Eisenbahn niemals rentabel geführt werden kann und deshalb ein Staatsunternehmen bleiben muss. Aber die Privatisierung wurde einfach abgenickt und durchgewunken, ein grundlegender schwerwiegender Fehler. Meiner Meinung nach hat die damalige Bundesregierung, die 1994 die Privatisierung beschloss, gegen ihren Eid verstoßen, „Schaden vom Volk abzuwenden“.

Aber die Politiker sind nicht alleine Schuld an der Misere, jeder Wahlberechtigte sollte sich an die eigene Nase fassen. Wir als Wähler sind alle mitschuldig am heutigen Zustand der Bahn.
Wehe, das Netz wird jemals privatisiert und aus dem Bahnkonzern herausgelöst, wie es der grüne Herr Hofreiter und andere Unwissende fordern. Dann werden wir ein blaues Wunder erleben!

Die Eisenbahn ist ein Verbundsystem, wo ein Rädchen in das Andere greift, und deshalb nur reibungslos funktioniert, wenn alles zusammen bleibt. Nur unsere fachfremden Politiker waren der Meinung, man müsste die Bahn privatisieren, wir sehen ja anschaulich wo das hingeführt hat: geradewegs den Bach runter.

Staatssekretär Ferlemann hat es erfasst, nur leider viel zu spät: In der „Lehmschicht des mittleren Management“ bleibe alles stecken, was eine effektive Führung des gesamten Konzerns verhindere, schrieb er. Damit spricht er mir aus der Seele: Wir haben 10 000 Häuptlinge und 100 Indianer – eigentlich müsste es umgekehrt sein.

Der Konzern DB ist in zahllose unübersichtliche Gesellschaften aufgespalten. Vorne weiß nicht, was Hinten macht, Oben nicht, was Unten macht und Links nicht, was Rechts tut. Ein Zuständigkeits-Wirrwarr ohnegleichen!

„Heute verwalten wir nur noch den Mangel“

Die Bundesbahn war ein über lange Zeit gewachsenes Unternehmen, wohl strukturiert, hat größtenteils funktioniert, wurde von Praktikern geführt, die den Betrieb noch kannten. Damals fuhren unsere Züge noch relativ pünktlich und zuverlässig. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass je ein Zug ausgefallen wäre. Es gab Reserven an Personal, an Wagen, an Lokomotiven, alles war ausreichend vorhanden. Heute verwalten wir nur noch den Mangel. Die Bundesbahn wurde vorsätzlich und völlig unnötig zugrunde gerichtet.

Zu Bundesbahn-Zeiten wäre auch der „Super-Gau“ von Rastatt nicht passiert. Da wäre vorher eine Hilfsbrücke eingezogen worden und dann hätten sie untendrunter tun können, was sie wollen. Auf alle Fälle wären die Gleise nicht abgesackt.

Und dann Stuttgart 21! Wieder eine Fehlentscheidung der Verantwortlichen. Wird bestimmt mehr als doppelt so teuer wie geplant, wie bei fast allen Großprojekten in Deutschland. Geldverschwendung, wo man nur hinschaut, Geld das an anderer Stelle dringend fehlt.

Wo liegt nun die Lösung des Problems ? Ich habe leider auch keine Patentlösung parat, nur ein paar Ansätze. Veränderungen fangen im Kleinen an, bei jedem Einzelnen von uns. Des deutschen liebstes Kind ist das Auto, freie Fahrt für freie Bürger, da fängt es an. Solange wir das in der überwiegenden Mehrheit denken, wird sich nichts ändern. Wir bräuchten einen gesellschaftlichen Wandel. Das geht nur über unsere gewählten Abgeordneten. Die Mehrheit von uns müsste also zu seinem Wahlkreisabgeordneten gehen, ihm so richtig Dampf machen.

Wenn Sie sich in Berlin nicht endlich dafür einsetzen, dass der Eisenbahn absoluter Vorrang eingeräumt wird, dann werden wir Ihnen bei der nächsten Wahl nicht mehr unsere Stimme geben. Dann ändert sich vielleicht was.

Wenn es eines Tages heissen würde, des deutschen liebstes Kind ist die Eisenbahn und nicht das Auto – dann würde sich vielleicht was ändern. Geld ist genug da, kein Problem, es müsste nur an der richtigen Stelle ausgegeben werden. Dann hätten wir die beste Eisenbahn der Welt, davon bin ich felsenfest überzeugt.

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