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Wirtschaft - 23.10.2018

Kolumbien: Kokain statt Kaffee?

Große Kaffeekonzerne scheffeln Milliarden, doch bei den Bauern in den Erzeugerländern kommt nichts an. Die warnen nun vor Armut und zunehmender Migration. Auch dem Koka-Anbau könnten sich viele Bauern zuwenden.

Für ihre Warnung hatten sich Kolumbiens Präsident Ivan Duque und sein Amtskollege Juan Orlando Hernandez aus Honduras einen symbolischen Platz ausgesucht. Auf einer Finca in Quimbaya mitten im Herzen der kolumbianischen Kaffeezone sprachen die beiden Politiker vor ein paar Tagen über eines der drängendsten Probleme ihrer Heimatländer.

Wegen des niedrigen Kaffeepreises seien rund 90.000 Familien in Gefahr in extreme Armut abzurutschen, warnte Orlando Hernandez anschließend. Während in Honduras die Armut zu einer verstärkten Migrationsbewegung führt, droht in Kolumbien eine andere Gefahr.

Aufschrei der Bauern

„Unsere Lage ist verzweifelt“, sagte Roberto Velez, Sprecher der kolumbianischen Bauern vor ein paar Tagen und bat die großen Kaffee-Unternehmen um Hilfe. Dies wäre auch im eigenen Interesse, so Velez weiter, denn immer mehr Kaffeebauern liebäugelten mit einem Wechsel zum zwar illegalen aber deutlich lukrativeren Koka-Anbau.

Das Treffen sollte nur der Auftakt zu einer konzertierten Aktion sein. Mit einem offenen Brief wandten sich die Vertreter der Kaffeebauern aus 30 Ländern in Lateinamerika, Asien und Afrika direkt an Konzerne wie Starbucks oder Nestle und warnten vor einer „sozialen Katastrophe“.

Die aktuellen Preise reichten vielerorts nicht einmal aus, um die Produktionskosten zu decken. Die Existenz der Familien der Kaffeebauern und -pflücker sei gefährdet. Tatsächlich ist trotz des ausgehandelten Friedensvertrages mit der ehemaligen Guerilla-Organisation FARC die Kokain-Produktion in den letzten beiden Jahren deutlich angestiegen. 

Die Gebiete in denen Koka angebaut wird haben seit dem Friedensprozess zugenommen

Die USA und auch Europa registrieren eine Zunahme der Kokain-Lieferungen. In Kolumbien ist die Lange ohnehin angespannt: Weil wegen der katastrophalen Lage im Nachbarland Venezuela in den letzten zwei Jahren rund eine Millionen Menschen nach Kolumbien geflohen sind, wachsen die sozialen Spannungen. Die Kaffeepreiskrise erwischt das Land auf dem falschen Fuß.

Blick auf die Kaffeepreise

Im kolumbianischen Kaffeedreieck Armenia, Pereira und Manizales blicken die Kaffeebauern bereits früh morgens auf die Bildschirme der Nachrichtensendungen. Wo andernorts Aktienkurse verkündet werden, erfahren die Kolumbianer hier die aktuellen Kaffeepreise auf dem Weltmarkt. „Die Stimmung ist gedrückt“, berichten lokale Zeitungen. Die Menschen haben Angst, weil es einfach nicht aufwärts geht mit den Preisen. Dabei ist die Arbeit an den steilen Berghängen nicht nur gefährlich, sondern auch körperlich sehr anstrengend. Den Gewinn aber streichen andere ein.

Genau durchrechnen: Die niedrigen Preise auf dem Weltmarkt stürzen nicht nur Kaffeebauern in Kolumbien in eine Krise

Während die Kaffeepreise für einige Sorten jüngst neue Tiefststände erreichten, melden die Konzerne dagegen satte Gewinne. Tchibo konnte 2017 den Gewinn von 34 Millionen auf rund 199 Millionen Euro steigern. Starbucks legte im ersten Umsatz-Quartal 2018 im Jahresvergleich um starke 14 Prozent auf 6,0 Milliarden Dollar (5,0 Milliarden Euro) zu. Der Gewinn stieg auf 660 Millionen Dollar.

Gleichzeitig stürzten die Kaffeepreise ab: Im November 2016 kam die Sorte „Arabica kolumbianisch mild“ noch auf 177,85 Cent je Pfund, im September 2018 lag der Preis nur noch bei 125,74 Cent. Ein Absturz um 25 Prozent. Insgesamt erreichten einige Kaffeesorten den tiefsten Stand seit über einem Jahrzehnt. Die Gründe dafür sind große Erntemengen aber auch Spekulationen an den Börsen.

Kritik der NGOs

„Der Verfall der Weltmarktpreise für Kaffee ist nicht neu, deshalb hat die Abwanderung in den Koka-Anbau in Kolumbien längst begonnen. Denn die Kaffeepreise liegen unter den Produktionskosten. Die Existenz von Millionen Kleinbauern ist dadurch bedroht. Gleichzeitig verzeichnen Kaffeegiganten Milliardengewinne. Das ist ein Skandal“, sagt Pater Michael Heinz vom Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat im DW-Gespräch. 

„Fairer Handel ist eine Antwort auf den ungerechten Welthandel. Es muss aber auch politischer Druck auf multinationale Konzerne ausgeübt werden“, sagt Heinz, der den Friedensprozess in Kolumbien aus nächster Nähe verfolgt.

Pater Michael Heinz von Hilfswerk Adveniat bei Bauern eines Kaffeeanbaugebiets

Die Kritik der Erzeugerländer und der NGOs zeigt bereits erste Wirkung. Starbucks spendete zuletzt 20 Millionen US-Dollar Soforthilfe an die Kaffeebauern in Mittelamerika. Ein Tropfen auf den heißen Stein, der an den Ursachen der Schieflage in der Wertschöpfungskette nicht wirklich etwas ändert.


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    Autorin/Autor: Nicolas Martin


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