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Wirtschaft - 16.01.2019

Erstaunlich, wie cool die Finanz-Profis reagieren

Nach dem klaren Nein des britischen Parlaments zum Brexit-Deal von Premierministerin Theresa May schaut Europa gespannt auf die Entwicklung in Großbritannien.

Merkwürdig: Während die politischen Reaktionen auf das May-Debakel überkochen, kochen Finanzprofis das Thema eher herunter.

Chaos, Crash, Katastrophe? An den Märkten ist davon nicht zu spüren.

Im Gegenteil: Das britische Pfund legte am Mittwoch sogar zu!

Der Grund: „Abgesehen von einem ‚No-Deal‘-Brexit ist alles positiv für das Pfund Sterling“, sagt Anlagestratege Kit Juckes von der französischen Großbank Société Générale. Im aktuellen Kurs spiegelten sich bereits zahlreiche Belastungen wider. „Daher wird das Pfund von hier eher auf gute als auf schlechte Nachrichten reagieren.“

Seit dem Brexit-Referendum von Mitte 2016 hat die britische Währung bereits um rund 15 Prozent abgewertet und kostet derzeit gut 1,28 Dollar.

  • Live-Ticker zum Brexit-Chaos

    Mehrheit der Briten gegen den Sturz von Theresa May

    „May Day“ in UK: Gegen 20 Uhr stimmt das Parlament in einem Misstrauensvotum über Premierministerin May und ihre Regierung ab.

Die Stimmung an der Börse

Nach der Ablehnung des Brexit-Deals durch das britische Parlament sind die Börsen in Frankfurt am Main und London am Mittwochmorgen mit leichten Kursgewinnen in den Handelstag gestartet. In Frankfurt legte der Dax um 0,38 Prozent zu, in London notierte der Index FTSE 100 mit 0,22 Prozent im Plus. Am Dienstag hatte der DAX mit leichtem Plus geschlossen.

Auch an der Londoner Börse ist von Panikstimmung weit und breit keine Spur. Der britische Leitindex „Footsie“ bewegte sich am Mittwoch kaum.

Der Euro Stoxx 50 (der Index 50 wichtiger börsennotierten Unternehmen aus dem Euro-Raum) legte bis gestern Abend um einen knappen halben Prozentpunkt zu.

Ein ähnliches Bild in New York: An der Wall Street hatten sich die US-Indizes nach Börsenschluss in Deutschland kaum bewegt.

Ob der Brexit tatsächlich wirtschaftlich harmlos wird …

Für wen wird der Brexit teuer?

Deal or No-Deal – Wie auch immer es ausgeht, es wird teuer für beide Seiten – EU und Großbritannien. Nach Berechnungen des Münchener Institutes für Wirtschaftsforschung müssten sich die verbleibenden EU-Staaten auf zusätzliche Mehrausgaben für den EU-Haushalt einstellen:

► Höhere EU-Beiträge

Durch den Ausfall der britischen Beiträge müsste beispielsweise Deutschland als größter Nettozahler jährlich zusätzlich 2,5 Milliarden Euro brutto beisteuern!

► Wachsende Handelskosten

Der Brexit wird durch wachsende Handelskosten sowohl in Großbritannien als auch in den anderen 27 EU-Ländern erheblichen wirtschaftlichen Schaden anrichten.

In Großbritannien übersteigt dieser Schaden bei weitem die Einsparungen durch den entfallenden Nettobeitrag zum EU-Haushalt.

Wenn der Handel künftig auf Basis von WTO-Regeln erfolgt, würden diese Summen für Großbritannien auch bei Wegfall jeglicher Beiträge zum EU-Haushalt immer noch 16 Milliarden Euro pro Jahr betragen. Für die EU summieren sich die Verluste durch Wegfall des britischen Nettobeitrags und wachsende Handelskosten auf rund 44 Milliarden Euro pro Jahr.

Mit einem Freihandelsabkommen könnten diese Kosten deutlich reduziert werden!

► Wirtschaftsleistung nimmt ab

Je nach Ausmaß der handelspolitischen Abschottung des Vereinigten Königreichs könnte das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohner im Jahr 2030 zwischen 0,4% und 1,7% geringer ausfallen als bei einem Verbleib in der EU.

Der volkswirtschaftliche Schaden für Deutschland bliebe nach den ifo-Zahlen gering! Das reale BIP in Deutschland je Einwohner im Jahr 2030 bei einer Betrachtung der reinen Handelseffekte nur zwischen 0,1% und 0,2% geringer ausfallen als bei einem Verbleib des Vereinigten Königreiches in der EU.

Bei einzelnen Branchen sieht es da schon anders aus: Neben der Kfz-Branche müssten auch die Elektronikbranche, die Metallerzeugung und die Lebensmittelbranche mit negativen Einschnitten rechnen.

Doch wieso bleibt es nach dem politischen Desaster so ruhig?

Clemens Fuest, der Präsident des ifo-Institutes sagte gegenüber BILD: „Die Entscheidung war keine Überraschung und daher bereits eingepreist.“

„An der Börse glaubt die Mehrheit weiterhin an eine Lösung im Brexit-Chaos, auch wenn im Moment niemand weiß, wie diese Lösung am Ende aussehen soll“, so Portfolio-Manager Thomas Altmann vom Vermögensberater QC Partners.

  • May-Deal mit EU gescheitert

    Briten stürzen Europa ins Brexit-Chaos

    Theresa May hat verloren. Ihr Plan hat keine Mehrheit im Parlament. Das Brexit-Chaos ist perfekt! Zweieinhalb Jahre nach dem Refere…

  • Brexit-Deal abgelehnt

    Was für ein Brexshit!

    No Deal. Kein Plan für morgen. Und keine Mehrheit für nichts. Es ist traurig zu sehen, wie die Zukunft Großbritanniens vergeigt wird.

Die Reaktionen aus der Wirtschaft auf das Brexit-Chaos

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutsches Institutes für Wirtschaftsforschung: „Die Ablehnung des Brexit-Abkommens durch das britische Parlament ist nicht überraschend, hat aber die Verunsicherung und Besorgnis über einen harten Brexit in ganz Europa verstärkt. Ich bewerte diese Entscheidung jedoch bei weitem nicht so negativ, sondern sehe Anlass zu vorsichtiger Hoffnung. Die Wahrscheinlichkeit eines harten Brexit am 29. März 2019 ist durch diese Parlamentsentscheidung kaum gestiegen.“

Der Hauptgeschäftsführer des Bundes der Deutschen Industrie (BDI) Joachim Lang: „Die Ablehnung des Austrittsabkommens ist dramatisch. Wo Vernunft gefragt gewesen wäre, hat die Hysterie gewonnen. Die Chance, einen Ausweg aus dem Chaos zu finden, ist vorerst vergeben. Unternehmen diesseits und jenseits des Ärmelkanals hängen weiter in der Luft. Ein chaotischer Brexit rückt in gefährliche Nähe. Oberste Priorität muss nun sein, einen harten Brexit zu vermeiden. Die Verantwortung dafür liegt einzig und allein bei der Regierung und Opposition in London.“

Der Präsident des Verbandes der Automobilindustrie Bernhard Mattes: „Mit der heutigen Entscheidung hat die Mehrheit des britischen Unterhauses seinem Land einen Bärendienst erwiesen. Jetzt wird ein ungeregelter Brexit immer wahrscheinlicher. Die Folgen eines ‚No-Deal-Szenarios‘ wären fatal. Die politischen Akteure in Großbritannien müssen sich der Tragweite ihres Handelns bewusst werden. Das Austrittsabkommen abzulehnen, ohne dass es eine konkrete Alternative für einen anderen gangbaren Weg gibt, ist politisch fahrlässig.“

Ulrich Leuchtmann, Commerzbank-Analyst: „Trotz ihrer historisch einmaligen Niederlage im Unterhaus tritt May nicht zurück. Sie ist quasi der Jogi Löw der britischen Politik. ‚Deal‘ und ‚No Brexit‘ wären beide Pfund-positiv, ‚No Deal‘ wäre Pfund-negativ. Die Wahrscheinlichkeit, die der Devisenmarkt bisher ‚Deal‘ zugeordnet hatte, muss nun auf die verbleibenden Alternativen verteilt werden. Egal, wie man es macht, die Wahrscheinlichkeit für das Pfund-negative Szenario kann nicht gesunken sein und dürfte mehr oder weniger gestiegen sein.“

Alexander Krüger, Chefvolkswirt Bankhaus Lampe: „Nach dem abgeschmetterten Brexit-Deal dürfte die Regierung jetzt einen späteren Austrittstermin beantragen. Die Zeit benötigt sie, um vor allem auf eine zeitnahe Lösung des irischen Grenzproblems zu dringen. Ein weicher Brexit ist somit immer noch möglich. Immerhin befürworten viele Parlamentarier einen Austritt ohne Sicherheitsnetz nicht. Vorerst gilt jedoch, dass das Wirtschaftsgeschehen unter dem Brexit-Chaos stärker leiden wird.“

Thomas Gitzel, Chefökonom von der VP Bank: „Die Regierungschefin will am Montag einen Plan B vorlegen. Innerhalb von sieben Sitzungstagen kann dann erneut darüber abgestimmt werden. Denkbar wäre, dass Theresa May die EU doch noch um Zugeständnisse bittet. Ein in Zusammenarbeit mit Brüssel leicht modifiziertes Austrittsabkommen könnte möglicherweise als Plan B fungieren. Scheitert auch dieser, wird ein zweites Referendum wahrscheinlicher. Allerdings sind auch Neuwahlen nicht auszuschließen.“

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