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Wirtschaft - 18.02.2019

Der Venezuela-Versteher

Über drei Millionen Menschen haben Venezuela bereits verlassen, auch viele Unternehmen haben sich aus dem Staub gemacht. Die Firma von Thilo Schmitz dagegen bleibt. Weil der Deutsch-Venezolaner fest an sein Land glaubt.

Manchmal gibt es Nudeln. An anderen Tagen auch mal Huhn oder Fisch. Auf jeden Fall ist das Mittagessen, das etwa zwei US-Dollar kostet, warm. Für die 65 Mitarbeiter, die immer noch im Unternehmen von Thilo Schmitz in der venezolanischen Hauptstadt arbeiten, ist die Mahlzeit auf jeden Fall überlebenswichtig. „Viele sind nur noch wegen des Mittagessens da. Wenn sie das nicht mehr bei uns bekommen würden, wären sie schon längst über alle Berge!“, ist der deutsch-venezolanische Unternehmer überzeugt. „In Venezuela herrscht die pure Verzweiflung, die Menschen sind hier alle am Ende ihrer Kräfte!“

Das mittelständische Unternehmen in Caracas vertreibt Schulmaterial, Papier und Büroutensilien, produziert Farben und Klebstoffe. Mehr als 200 Angestellte zählte die Firma noch vor ein paar Jahren, vor der schweren Wirtschaftskrise. Jetzt schreibt der Betrieb rote Zahlen, es geht nur noch um die nackte Existenz – im wahrsten Sinne des Wortes. „Alles dreht sich ums Essen“, sagt Schmitz, „es geht nicht mehr um die Klimaanlage, die kaputt gegangen ist, oder die abgefahrenen Autoreifen, was ja gefährlich ist oder auch um das Spielzeug für die Kinder zu Weihnachten. Es geht nur noch darum, genug zu essen zu haben.“

„In Venezuela gibt es keine Tauben und Straßenhunde mehr“ – Thilo Schmitz über die verzweifelte Suche nach Essbarem

Da ist der Lagerarbeiter, der um eine neue Hose bittet – weil er nur noch einmal pro Tag isst, 20 Kilo abgenommen hat und die alte Hose ihm nicht mehr passt. Da sind die großen Tüten mit Lebensmitteln, die Schmitz zu Weihnachten jedem seiner Mitarbeiter in die Hand drückt. Oder die Sache mit dem Obst. „Sie kaufen 50 Mandarinen und legen sie auf ein großes Tablett, damit die Mitarbeiter Kohlenhydrate und Vitamine zu sich nehmen. An einem ganz normalen Dienstagnachmittag. Und innerhalb von zwei Minuten ist alles weg.“ Doch Schmitz‘ Arbeiter essen die Mandarinen nicht selbst, sondern bringen sie nach Hause, zu ihren Familien.

Eine Erfolgsgeschichte, bislang noch ohne Happy-End

Dabei ist die Geschichte von Thilo Schmitz eigentlich eine ziemliche Erfolgsgeschichte. 1967 wird er in Caracas geboren, macht an der Deutschen Schule Abitur. Für die Lehre geht Schmitz nach Bremen, studiert später in Frankfurt am Main, macht sich dort selbständig, arbeitet bei der Deutschen Bank. Schmitz sieht seine Zukunft in Deutschland, bis ihn 1994 sein Vater bittet, den Betrieb in Caracas zu übernehmen. Er muss nicht lange nachdenken: „So eine Chance, ein Familienunternehmen zu übernehmen und weiterzuentwickeln, bekommt man nur einmal im Leben!“

Kurze Zeit später, im Januar 1996, wagt Schmitz den Sprung über den Teich und ist auf einen Schlag Chef von 34 Angestellten. Aus dem Schreibgeräteunternehmen wird eine Firma für Schreibgeräte und Scheren, später für Papier, Büroartikel und Schreibwaren. Der Laden brummt. Doch dann kommt der 6.Dezember 1998. An den Tag, an dem der Sozialist Hugo Chávez die Wahlen in Venezuela gewinnt, kann sich Schmitz bis heute gut erinnern. „Wir hatten große Angst vor diesem Typen und waren alle ziemlich geschockt. Aber dann haben wir uns gedacht, dass niemand so blöd sein kann, ein so schönes Land so schnell kaputt zu machen.“

Schon vor der Wahl siegessicher: Hugo Chávez im venezolanischen Präsidentschaftswahlkampf Ende 1998

Tatsächlich erweisen sich die Ängste zunächst als unbegründet, die Firma boomt auch die nächsten Jahre. Schmitz hält sich an die neuen Spielregeln, die Regierung nicht öffentlich zu kritisieren und fliegt erfolgreich unter dem Radar weiter. „Wir waren nicht relevant genug, wir waren nicht im Lebensmittelsektor oder in irgendwelchen wichtigen Industrien.“ Bildung und Erziehung haben bei der Regierung Chávez dagegen Priorität, und Hefte, Bleistifte und Radiergummis braucht jeder. Wenn man dann noch wie Schmitz Schulbedarf in den Armenvierteln zum Spottpreis abgibt, ist man auf der sicheren Seite.

Zurück nach Deutschland

Hugo Chávez forciert derweil seinen Sozialismus des 21. Jahrhunderts, das Erdöl sprudelt, der Präsident pumpt die üppigen Gewinne aus dem Erdölgeschäft in Sozialprogramme, der Lebensstandard vieler Venezolaner wächst. „Chávez hat viel Gutes gemacht“, urteilt Thilo Schmitz heute milde, „aber man kann den Sozialismus mit Subventionen und Geschenken nur durchfinanzieren, wenn man die Taschen voller Geld hat. Wenn der Erdölpreis dann aber mal nach unten geht, hat man ein Problem!“

Noch heute lagert knapp ein Fünftel der weltweiten Erdölreserven in Venezuela, Chávez profitierte vom hohen Erdölpreis

Als sich Chávez am 3.Dezember 2006 der Wiederwahl stellt, ist sich Schmitz sicher, dass die sozialistische Ära Venezuelas endgültig vorbei ist. Der Unternehmer hofft auf einen Sieg des sozialdemokratischen Herausforderers Manuel Rosales. Doch Chávez gewinnt mit großem Abstand und nach der Rede vorm Miraflores-Palast fasst Thilo Schmitz einen folgenreichen Entschluss: „Ich gehe, sofort. Nach Miami, Panama oder Deutschland, egal. Aber die Rede von Chávez war so furchterregend, so fanatisch, so aggressiv, das hat mich echt geschockt.“ Am Ende dauert es bis zum 8. August 2008, bis Schmitz nach Bremen zurückkehrt. In der Zwischenzeit arbeitet er seinen Nachfolger in Caracas ein, Schmitz managt die Firma ab jetzt von Deutschland aus.

Hoffnung auf bessere Tage stirbt zuletzt

Venezuela hat genauso viele Schüler wie Deutschland, bis zum Tod von Hugo Chávez am 5.März 2013 macht der Deutsch-Venezolaner weiterhin gute Geschäfte. Als Nicolás Maduro übernimmt, entscheidet der Unternehmer, auch in die Produktion zu gehen. „Jede neue Regierung will Arbeitsplätze schaffen und das geht nur, wenn man wie wir die lokale Industrie fördert.“ Die neue Strategie, um sich auch mit der Nachfolgeregierung zu arrangieren. „Bei Chávez wussten wir ja mittlerweile, wie er tickt“, erinnert sich Schmitz, „Maduro dagegen war ein unbeschriebenes Blatt. Niemand hatte eine Ahnung, wie es mit ihm weitergehen sollte!“

Mit dem neuen Präsidenten beginnt Venezuelas bitterer Absturz. Und auch der von Thilo Schmitz‘ Firma. „Wir haben einmal 50 Millionen US-Dollar umgesetzt. Jetzt sind wir bei knapp einer Million US-Dollar.“ Jahr für Jahr verlassen Mitarbeiter das Unternehmen, wandern nach Kolumbien, Chile oder in die USA aus. Andere schickt Thilo Schmitz in die Frührente, einigen muss er kündigen. Nur noch 65 von einst über 200 Mitarbeitern sind da, warum schließt er nicht endlich und gibt auf wie so viele Betriebe in Venezuela vor ihm? „Wir haben eine Verantwortung für die Mitarbeiter, das Unternehmen muss überleben“, gibt sich Thilo Schmitz kämpferisch, „und wir glauben daran, dass es irgendwann in Venezuela wieder bergauf geht. Und wenn es soweit ist, will ich dabei sein!“

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