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Politik - 17.05.2019

Großmutter erkennt ihren Enkel in Syrien

Verwandte wollen Waisenkinder nach Deutschland holen und verklagen die Bundesregierung

Vor einem Monat veröffentlichte BILD einen Artikel mit der Frage „Wer kennt diesen Waisenjungen aus Kassel?“ Seine Großmutter hat ihren Enkel erkannt, möchte ihn nach Deutschland holen – bislang ohne Erfolg.

Yahya (7) wurde von seiner Mutter nach Syrien zu ISIS verschleppt. Nachdem seine Mutter durch einen Bombenangriff starb, wurde der Junge in einem Flüchtlingscamp der kurdischen YPG-Miliz gefunden. Großmutter Susanne W. las den BILD-Artikel, erkannte ihren Enkel wieder – und erfuhr so auch, dass ihre Tochter gestorben ist. „Das war schrecklich, für mich ist die Welt zusammengebrochen. Alle Hoffnungen der letzten Jahre waren mit einem Schlag weg.“ Hoffnung gab ihr allein der Anblick ihres Enkelkindes: „Dass Yahya lebt fühlt sich so an, als bekäme ich wenigstens einen Teil meiner Tochter wieder. Das gab mir nach dem furchtbaren Schock wieder Hoffnung.“

  • Zu ISIS verschleppt!

    Wer kennt diesen Jungen aus Kassel?

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Yahya war nicht das einzige Kind seiner Mutter. Seine Schwester Yasemin (3) wurde in Syrien geboren. Das Mädchen wurde durch einen Luftangriff in der Endphase der Kämpfe um das „Kalifat“ getötet. Nach Angaben anderer deutscher ISIS-Mitglieder gegenüber BILD starb Yasemin gemeinsam mit ihrer Mutter. Yahya und ein drittes Kind überlebten den Angriff. Zacharia (2) lebt ebenfalls im Flüchtlingscamp al-Hawl unter widrigsten Umständen. Dass die Bundesregierung sich bislang weigert, die in den nordsyrischen Camps lebenden Kinder nach Deutschland zurückzuführen, ist für Susanne W. unverständlich. „Ich dachte, dass die Bundesregierung sofort jemanden beauftragt, die Kinder zu holen. Aber bis jetzt bekommen wir nicht einmal Antworten auf unsere Briefe. Ich bin absolut enttäuscht und traurig, dass man in so einer Lage im Stich gelassen wird.“

Klage gegen die Bundesregierung

Ein Anwalt aus Niedersachsen hat nun Klage gegen die Bundesregierung eingereicht, er will die Rückholung von Waisenkindern damit gerichtlich erzwingen. Da das Auswärtige Amt sich bislang einer Rückführung verweigert, müssen nun Richter entscheiden, ob die Bundesregierung verpflichtet ist, diesen Staatsangehörigen aus ihrer Notlage zu helfen.

In der vor dem Berliner Verwaltungsgericht eingereichten Klageschrift wird auch der Fall Yahya angeführt:

Die Klage führt der Anwalt derzeit im Auftrag einer Großmutter, die ebenfalls ihre verwaisten Enkelkinder aus einem YPG-Camp nach Deutschland bringen lassen will.

Claudia N. aus Baden-Württemberg wurde über einen Messenger-Dienst informiert, dass ihre beiden Enkeltöchter sich in al-Hawl befinden. „Unsere Tochter hat die Kinder anderen Frauen mitgegeben, in der Hoffnung, dass sie überleben und weiterleben dürfen“, sagt die Großmutter. Während die Kinder tatsächlich überlebten, starb die Tochter ebenfalls während der Kämpfe in den letzten ISIS-Rückzugsgebieten. Seitdem versucht Claudia N., ihre beiden Enkeltöchter nach Deutschland zu holen, das Sorgerecht für beide bekam sie bereits zugesprochen. Doch auch Claudia N. bekommt nur die immergleichen Ausflüchte zu hören.

So heißt es in der vom Auswärtigen Amt herausgegebenen Sprachregelung seit knapp zwei Jahren, dass die „Bundesregierung mögliche Optionen (prüfe), um deutschen Staatsangehörigen, insbesondere in humanitären Fällen, eine Ausreise aus Syrien zu ermöglichen“ – für die Großmütter stellt sich die Frage, warum ihren verwaisten Enkelkindern dann nicht die Ausreise ermöglicht wird.

Nach vielen Briefen ist Claudia N. frustriert von der Untätigkeit der Behörden: „Ich fühle mich vom Auswärtigen Amt, von meiner eigenen Regierung, vollkommen im Stich gelassen. Ich wünsche mir, dass jeder Politiker der Bundesregierung darüber nachdenkt, wie er sein Nichthandeln wohl rechtfertigen würde, wenn sich die eigenen Enkelkinder in einer solch katastrophalen Situation befänden.“

Die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion Irene Mihalic fragte für die vier Waisenkinder alle zuständigen Stellen der Bundesregierung an, doch eine Antwort erhielt sie nicht.

„Mir fehlen einfach die Worte dafür, dass mir bisher weder das Bundeskanzleramt, noch das Außen- oder Innenministerium auf meine Briefe, in denen ich zu konkreten Fällen von Kleinkindern und Babys in den syrischen Lagern dringende Fragen formuliert habe, geantwortet hat“, so Mihalic zu BILD. „Es hat ganz den Anschein, als drücke sich die Bundesregierung davor, Farbe zu bekennen und endlich Wege aufzuzeigen, ob und wie man die Rückholung deutscher Staatsbürger aus den ehemaligen syrischen Kampfgebieten organisieren kann.“

Angesichts der humanitären Umstände in den Camps dränge die Zeit, so Mihalic. Tatsächlich ist die Versorgungslage vor allem im Camp al-Hawl kritisch: Während der Schlacht um die letzte ISIS-Hochburg Baghuz wurden Zehntausende ISIS-Mitglieder und deren Kinder von der YPG gefangengenommen. Während die Männer in Gefängnissen verwahrt werden, kamen Frauen und Kinder nach al-Hawl, dessen Einwohnerzahl sich innerhalb weniger Wochen auf mehr als 70 000 Personen vervielfachte. Während die Nahrungsversorgung inzwischen stabil ist, bestehen in der medizinischen Versorgung weiterhin massive Defizite. Ein an einem Wasserkopf leidendes deutsches Kleinkind wurde erst nach einem BILD-Artikel ins Krankenhaus nach Hasakah zur Operation gebracht. Zudem gibt es bereits Berichte über sexuelle Übergriffe auf Kinder in dem überfüllten Camp.

In der Klageschrift weist der Anwalt deshalb ebenfalls darauf, dass die Waisenkinder „täglich an Leib und Leben bedroht“ sind.

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Insbesondere für die Waisenkinder, die von anderen Frauen versorgt werden, dränge die Zeit, so Mihalic. „Ich fordere die Bundesregierung auf, endlich ein Herz für diese Kinder zu zeigen und die Möglichkeiten zu ihrer Rückholung voll auszuschöpfen.“

Sowohl Susanne W. als auch Claudia N. haben mittlerweile das Sorgerecht für ihre verwaisten Enkelkinder zuerkannt bekommen. Da es sich um Kinder handelt, entfällt auch der von Innenminister Seehofer bislang vorgebrachte Einwand, man müsse bei in Syrien einsitzenden Deutschen zunächst prüfen, inwieweit diese vor Gericht gestellt werden könnten.

Das Auswärtige Amt beruft sich bislang darauf, in Syrien keine Botschaft zu unterhalten und deshalb keine konsularische Betreuung leisten zu können. Allerdings haben auch andere Staaten ohne Botschaft in Syrien ihre Bürger aus den nordsyrischen Camps zurückgeführt, so nahm etwa der Kosovo mehr als 100 seiner Landsleute zurück.

Auch die Rückführung einzelner Kinder wurde bereits durchgeführt, so holte zuletzt die schwedische Regierung sieben Waisenkinder aus den nordsyrischen Camps. Allerdings hatten die Schweden offenbar einen Emissär geschickt, der Vertretern der kurdischen PYD-Partei – des politischen Flügels der YPG – ein offizielles Schriftstück überreichte.

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Auf diese Form politischer Anerkennung zielt die PYD mit ihren Offerten ab, wenn ihre Sprecher die Herkunftsstaaten auffordern, ihre Staatsbürger zurückzunehmen. Denn die PYD, bzw. YPG befindet sich in einer prekären Situation: Das von ihr zuvor beherrschte Gebiet Afrin in Nordsyrien wurde von der türkischen Armee im Verbund mit syrischen Rebellen erobert. Zudem kämpft die YPG weiterhin gegen ISIS-Zellen, die in Nordsyrien im Untergrund aktiv sind und regelmäßig Anschläge verüben. In dieser Situation erhofft sich die PYD offenbar politische Kontakte zu wichtigen europäischen Staaten im Gegenzug für die gefangen genommenen Dschihadisten und deren Kinder. Während Schweden dazu bereit war, zögert Berlin, wohl auch aus Rücksicht auf die Beziehungen zur Türkei – zulasten der Waisenkinder , die weiter im überfüllten Camp al-Hawl ums Überleben kämpfen müssen.

Frankreich hingegen, Deutschlands engster Partner in Europa, engagiert sich in Syrien mit eigenen Bodentruppen und bekundet auch immer wieder politische Unterstützung für die YPG. Wohl auch deshalb war es kein Problem für Paris, fünf Waisenkinder innerhalb von 24 Stunden zurückzuholen, darunter drei französisch-deutsche Halbwaisen. Die restlichen französischen Staatsbürger aus al-Hawl wurden bereits in ein separates Lager verlegt.

Dies steht offenbar auch spanischen Staatsbürgern bevor. Nach BILD-Informationen wurden diese am Mittwoch registriert und sollen in den kommenden Tagen verlegt werden. In Deutschland muss nun das Verwaltungsgericht in Berlin entscheiden, ob die Waisenkinder zurückgeholt werden. Einen ähnlichen Prozess gab es zuletzt in Belgien: Dort wehrte sich die Regierung allerdings bislang erfolgreich gegen die von einem Gericht auferlegte Rückführung zweier belgischer Frauen und ihrer Kinder.

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